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Keith Warner: "Der erste Akt ist eine verrückte Fantasiefahrt. Im zweiten Akt blättert die Ironie Schicht für Schicht ab, und Orlandos Wahnsinn bekommt tiefergehende Züge."

Foto: APA / HANS KLAUS TECHT

Wien – "Haydns Orlando paladino ist schwierig, episodenhaft und zerstückelt", erzählt Keith Warner. "Der Humor in der Musik hat mich aber sofort überzeugt." Und: "Mit Harnoncourt zu arbeiten, der jedem Takt Leben einhaucht, war natürlich der größte Anreiz", zudem war bezüglich Anregungen dann ein Spaziergang im Prater sehr hilfreich. "Die Ringelspiele mit den Pferden, Drachen, Rittern und Monstern haben mich fasziniert. All das kommt im Orlando vor. Das Werk ist ein Fantasy-Stück über die verschiedenen Aspekte der Liebe."

Die Sehnsucht nach der Illusion sei dem Menschen zutiefst eigen. "Wir gehen doch nach Disneyland oder auf einen Rummel, damit sich Körper und Geist in einer Traumwelt verlieren können." Das Werk gerade in Wien zu inszenieren inspirierte Warner besonders. "Es ist die Stadt Freuds. Jede Reise in die Welt der Fantasie hat einen psychologischen Grund. So gesehen ist das Werk eine 'Wiener Fantasie'. Haydn konnte natürlich nichts von der Freud'schen Psychologie wissen. Er hat auf einer instinktiven Ebene Bescheid gewusst. Aber ich bin davon überzeugt, dass das intellektuelle Leben einer Stadt in ihren kulturellen Werken miteingeschlossen ist." Er sei kein abergläubischer Mensch, sagt Warner, einige "Zufälle" faszinieren den Briten aber doch. "Orlando paladino wurde am 6. 12. 1782 uraufgeführt. Sowohl Harnoncourt als auch ich haben am 6. 12. Geburtstag. Wer weiß, vielleicht soll das alles so sein!"

Der Arbeit am Stück beschreibt er dann einerseits ganz nüchtern: "Die Geschichte kann man so, wie sie ist, nicht ernst nehmen. Dass Orlando Angelica nicht bekommt, ist das einzig Reale. Von dort stolpert man in die irreale Welt der Ängste." Andererseits suche er nach den großen Zusammenhängen. "Im 10., 11., 12. Jahrhundert wurde ein gewisser Verhaltenskodex in der Liebe festgelegt. Unbewusst richten wir uns heute immer noch danach, was in der Wiege unserer Zivilisation entstanden ist."

Eine Schicht Ironie

Die ironische Überhöhung im Stück schaffe zunächst emotionale Distanz. "Der erste Akt ist eine verrückte Fantasiefahrt. Im zweiten Akt blättert die Ironie Schicht für Schicht ab und Orlandos Wahnsinn erlangt tiefergehende Züge. Das Stück arbeitet nicht mit großen philosophischen Gedanken, wie etwa Wagner, aber es berührt existenzielle Themen mit großer Menschlichkeit."

Dass Ironie und Fantasie allzu leicht in billige Effekthascherei abrutschen könnten, entkräftet Warner so einfach wie effektiv. "Man muss den Extremen den vollen Spielraum lassen. Wenn es Slapstick ist, dann muss man es auch machen. Pasquale und Eurilla sind das bodenständige Bauernpaar. Wenn ihm eine Tür ins Gesicht knallt, dann ist es ein Gag, spiegelt aber auch diese Vitalität und Lebensenergie des Slapsticks wider. Auf der anderen Seite Angelica und Medoro, das hohe Paar der Liebe. Wenn diese Liebe geprüft wird, bekommt das aber auch etwas Komisches."

Faszinosum Wort

Die Theatertradition seines berühmtesten Theaterlandsmanns setzt für Warner Maßstäbe. "Seit Shakespeare können Komisches und Tragisches in einem Stück parallel existieren. Das zieht das Publikum in eine eigenwillige Erfahrung hinein, trifft aber lebensnahe Gefühle." Im Regisseur Warner steckt auch der Librettist Warner. "Ich bin fasziniert vom Wort."

Sein jüngstes Stück ("The daughter") über die dramatischen Auswirkungen der Irakpolitik Blairs auf dessen Familie, wird 2008 uraufgeführt. In der Oper hat aber die Musik stets den Vortritt. "Musik schafft im Gehirn Synapsen, die das Wort nicht schaffen kann. Ariosts Vorlage ist perfekt. Sie hat durchaus die eine oder andere literarische Qualität, geht aber nicht allzu tief. Klare Ideen werden einfach formuliert. Das lässt Haydn viel Raum, Humor, Liebe und Leiden musikalisch zu erforschen." (Petra Haiderer / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 16.11.2007)