In den vergangenen Jahren verzeichneten die baltischen Aktienmärkte spektakuläre Kursgewinne. Doch seit geraumer Zeit herrscht Windstille in Litauen, Estland und Lettland. Aufgrund der guten wirtschaftlichen Perspektiven sollten die Märkte bald wieder in Fahrt kommen. Wir sagen Ihnen, mit welchen Zertifikaten Sie in die nordischen Schwellenländer investieren können. Aber eins gleich vorweg: Ohne Risikobereitschaft und langem Atem sollte man besser zu Hause bleiben.

Ernüchternde Jahresbilanz

Was ist mit den „Tigerstaaten“ im Nordosten Europas los? Nach enormen Kursgewinnen in den Vorjahren haben die baltischen Aktienmärkte den Anlegern in 2007 bislang nur wenig Freude bereitet. Der „OMX Baltic 10“-Index, der die zehn größten Unternehmen aus der Region enthält, liegt seit Jahresanfang mit knapp zehn Prozent im Minus. Etwas besser fällt die Einzelbetrachtung aus: So hat das 40 Titel umfassende lettische Marktbarometer „OMX Riga“ seit Jahresanfang immerhin acht Prozent hinzugewonnen. Das litauische Pendant, der „OMX Vilnius“, brachte es auf ein Plus von 10,5 Prozent. Im Vergleich zu den Gewinnen in anderen Schwellenmärkten nehmen sich diese Zuwächse ziemlich bescheiden aus. Ganz aus der Rolle fällt Estland: Der „OMX Tallinn“ liegt seit Januar mit fünf Prozent im Minus. Vor etwa einem halben Jahr (siehe ZJ 15.2007) haben wir die drei Ex-Sowjetrepubliken erstmals unter die Lupe genommen. Zeit für eine Neubetrachtung.

Kalter Krieg mit Russland

Kurz nachdem unser Leitartikel erschienen war, kam es in Tallinn zu gewalttätigen Ausschreitungen. In Estland lebende Russen protestierten lautstark gegen die Verlegung eines sowjetischen Kriegerdenkmals. Obwohl sich die Lage seither beruhigt hat, führte der Konflikt zu einer bedenklichen Abkühlung der ohnehin angespannten Beziehungen zu Moskau. Dass dies nicht ohne negative Folgen für die Börsenkurse in Tallinn bleiben würde, war aufgrund der Nähe zu dem Riesenreich keine Überraschung. Dennoch konnten sich die Kurse zunächst wieder erholen. Im Juli machte sich der „OMX Tallinn“ sogar auf, neue Rekordstände zu markieren. Dieser Höhenflug wurde jedoch durch die einsetzende US-Subprime-Krise und die folgenden weltweiten Börsenturbulenzen abrupt beendet.

Chancenreiche Schwellenmärkte

Chancenreiche Schwellenmärkte

Trotz des Schwächeanfalls bleiben wir zuversichtlich, was die Chancen von Estland und den anderen beiden Balten-Republiken betrifft. Man muss sich jedoch im Klaren darüber sein, dass es sich beim nordischen Trio – trotz EU-Mitgliedschaft und Euro-Anwartschaft – nach wie vor um volatile Schwellenmärkte handelt, die nur mit einem maßvoll dosierten Anteil im Depot vertreten sein sollten. Aufgrund des erhöhten Risikos ist außerdem ein langfristiger Anlagehorizont erforderlich. Berücksichtigt man diese beiden Punkte, könnten Balten-Investments chancenorientierten Anlegern auf lange Sicht noch viel Freude bereiten.

Das Schreckgespenst Inflation geht um

Das Hauptargument, das für Investments im Baltikum spricht, ist das rasante Wirtschaftswachstum. In Estland, mit seinen 1,3 Millionen Einwohnern das Federgewicht im Norden, schnellte das Bruttoinlandsprodukt im vergangenen Jahr 11,4 Prozent nach oben. Jedoch birgt dieses rasante Expansionstempo auch Gefahren. So dürfte sich das Leistungsbilanzdefizit in diesem Jahr nach Prognose des Internationalen Währungsfonds (IWF) auf rund 17 Prozent (gemessen am Bruttoinlandsprodukt) belaufen. Ein weiterer Risikofaktor ist die Inflation. Denn das schnelle Wachstum sorgt für Nachfragedruck, was wiederum zu steigenden Preisen führt. So erreichte die Teuerungsrate in Estland im September mit 7,5 Prozent einen alarmierend hohen Wert. Der IWF geht in seinem Herbst-Ausblick davon aus, dass die Inflation im kommenden Jahr hoch bleiben könnte.

Estland auf dem Weg zum Musterländle

Auf der anderen Seite haben die IWF-Ökonomen aber auch viel Positives über den kleinen Staat am Finnischen Meerbusen zu berichten. So hat sich der Wohlstand – gemessen am Bruttoinlandsprodukt pro Kopf – in den vergangenen drei Jahren auf rund 15.300 US-Dollar verdoppelt. Damit sind die Esten wohlhabender als die Polen oder die Ungarn. Erfreulich bewertet werden außerdem die vergleichsweise liberale Wirtschaftsordnung, die investitionsfördernde Steuerpolitik sowie die moderne Kommunikationsinfrastruktur. Ein weiterer wichtiger Punkt: Die Wirtschaft des Landes wird laut IWF-Prognose mit einer Zuwachsrate von acht Prozent in 2007 und sechs Prozent in 2008 weiterhin auf der Überholspur bleiben, wenngleich die Zahlen zuletzt etwas nach unten korrigiert wurden. Insbesondere der Dienstleistungssektor expandiert. Heute entfallen etwa 60 Prozent des Wachstums auf diesen Bereich. Die Land- und Forstwirtschaft sowie Fischerei spielen hingegen nur noch eine untergeordnete Rolle.

Im 3. Teil: Es locken hohe Dividendenrenditen

Es locken hohe Dividendenrenditen

Eine Partizipation am estischen Aktienmarkt bietet das „Open End“ Estland-Zertifikat (ISIN NL 000 077 149 1) von ABN Amro. Basiswert ist der „OMX Tallinn-Index“, der die 18 größten estnischen Börsengesellschaften enthält. Schwergewicht ist Eesti Telekom mit einem Anteil von 23,6 Prozent, gefolgt vom Spielkasino-Betreiber Olympic Entertainment (17,3 Prozent) und dem Industriekonzern Tallink Group (15,5 Prozent). Diese drei Titel beherrschen damit mehr als 55 Prozent des Index, was ein nicht unerhebliches Klumpenrisiko darstellt. Ein Pluspunkt ist die vergleichsweise günstige Bewertung dieses Marktes. So wird der „OMX Tallinn“ lediglich mit einem KGV von 9,6 und damit deutlich unter dem Niveau der meisten westeuropäischen Aktienmärkte bewertet. Ausschüttungen werden im Basiswert angerechnet, was angesichts einer Dividendenrendite beim „OMX Tallinn“ von 3,2 Prozent eine üppige Beigabe ist. Für das „Non Quanto“-Zertifikat fällt eine jährliche Managementgebühr von einem Prozent an. Das ist günstig, jedoch kann der Spread bis zu drei Prozent betragen.

Litauen bald ein „Geberland“?

Wie in Estland stehen auch in Litauen die Zeichen auf Wachstum. Im westlichsten der Baltenstaaten legte die Wirtschaft im vergangenen Jahr um 7,5 Prozent zu. Das ist zwar nicht ganz so viel, wie in den beiden anderen Ländern, dafür hat die Regierung in Vilnius auch etwas weniger Probleme mit der Inflation. Weil die Teuerungsrate aber auch in Litauen deutlich über der Konvergenzmarke von drei Prozent liegt, wird es mit der Euro-Einführung so schnell nichts werden. Ziel ist es, der Währungsunion bis zum Jahr 2011 beizutreten. Litauen zählt inzwischen zu den wirtschaftlich relativ gut situierten Ländern und hat bereits die „Reifeschwelle“ hin zu einem „Geberland“ überschritten. Der Wohlstand in der Republik ist in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen. So lag die Arbeitslosenquote 2006 lediglich bei 5,6 Prozent. Inzwischen ist sie weiter gesunken, so dass man sich der Vollbeschäftigung nähert. Hierin liegt jedoch auch eine Gefahr: Der hohe Arbeitskräftenachfrage könnte die Lohnkosten unangemessen in die Höhe treiben, was wiederum die Inflation anheizen würde. Bereits jetzt ist in vielen Sektoren ein Facharbeitermangel zu beklagen.

Im 4. Teil: Vilnius ist ein teures Pflaster

Vilnius ist ein teures Pflaster

Wer sich Litauen ins Depot packen möchte, wird ebenfalls bei ABN Amro fündig. Das „OMX Vilnius Index“-Zertifikat (ISIN DE 000 AA0 G6N 8) partizipiert „eins zu eins“ an den 32 größten Börsengesellschaften des Landes. Größter Titel im Basiswert ist Rytu Skirstomieji Tinklai mit einem Anteil von 17,5 Prozent. Hinter diesem nur schwer aussprechbaren Namen verbirgt sich der größte Stromversorger des Landes. Weitere Schwergewichte sind der Telekommunikationskonzern TEO Lt (13,8 Prozent) sowie das Gasunternehmen Lietuvos Dujos (12,6 Prozent). Obwohl auch hier Klumpenrisiken vorhanden sind – die drei größten Titel kommen auf ein Gewicht von 43,9 Prozent – ist der Litauen-Tracker dank der nahezu doppelt so hohen Titelanzahl deutlich besser gestreut als das Estland-Zertifikat. Der Haken: Mit einem KGV von 21 ist der „OMX Vilnius“ relativ hoch bewertet, was den Markt besonders riskant macht. Die Dividenden von gegenwärtig rund 2,2 Prozent werden voll in das „Non Quanto“-Produkt eingerechnet. Dafür fällt die Geld/Brief-Spanne mit drei Prozent auch hier ziemlich stattlich aus. Die jährliche Managementgebühr beträgt – analog zum Estland-Zertifikat – ein Prozent.

Kein Zertifikat auf Lettland

Bleibt noch Lettland, was wir aber schnell abhacken können, da auf diese Baltenrepublik noch kein eigenes Zertifikat angeboten wird. Dafür gibt es von ABN Amro (ISIN NL 000 075 741 7) und der HVB (ISIN DE 000 HV2 CGW 8) jeweils ein Endlos-Papier auf das baltische Leitbarometer „OMX Baltic 10“. Jedoch enthält der Index derzeit keine einzige lettische Aktiengesellschaft. Stattdessen setzt er sich aus sechs estnischen und vier litauischen Titeln zusammen. Aus Diversifikationsgesichtspunkten stellt sich daher die Frage, ob es nicht sinnvoller ist, sich gleich die entsprechenden Länder-Tracker ins Depot zu nehmen, zumal bei den zwei „Baltic-10“-Produkten keine Dividenden angerechnet werden. Dass die geringe Titelanzahl tatsächlich höhere Risiken birgt, zeigt die bereits eingangs erwähnte Underperformance des „OMX Baltic 10“ gegenüber den deutlich breiter aufgestellten baltischen Länderindizes.

Deutsche Bank geht eigene Wege

Zumindest „etwas Lettland“ ist im „S-BOX Baltic“-Zertifikat (ISIN DE 000 DB2 BTK 6) der Deutschen Bank enthalten. Von den zehn Indexmitgliedern stammen die Hälfte aus Estland, drei aus Litauen und zwei aus Lettland. Damit ist dieses Papier hinsichtlich der Länderdiversifikation im Rahmen einer Baltikum-Strategie besser aufgestellt als die „OMX Baltic 10“-Zertifikate. Die Zusammensetzung des „S-BOX Baltic“-Index wird halbjährlich überprüft und gegebenenfalls angepasst. Die Managementgebühr für das Zertifikat beträgt ein Prozent pro Jahr. Das ist in Ordnung, da hier die Dividenden angerechnet werden. Ein Risikofaktor ist jedoch auch hier die geringe Titelanzahl.

Fazit: Rückschläge einkalkulieren

Abschließend möchten wir wiederholen, worauf wir bereits in unserer Titelgeschichte vor einem halben Jahr hingewiesen haben: Trotz der starken wirtschaftlichen Performance der Baltenstaaten möchten wir davor warnen, mit übertriebenen Optimismus in den Markt zu gehen. Es handelt sich hier um drei typische „Emerging Markets“, die zwar beachtliche Chancen verheißen, aber entsprechend höhere Risiken bergen. Wie schnell es mit den Kursen nach unten gehen kann, hat dieses Jahr gezeigt. Auf Dauer aber – davon sind wir überzeugt – werden die baltischen Tiger wieder ihre Krallen zeigen.