Es diskutierten (von li.):
Michael Ikrath, Generalsekretär Sparkassenverband.
Andrea Koblmüller, PEF Privatuniversität.
Ursula Puschmann, Unternehmensberaterin, Coach.
Reinhard Platzer, Gen.-Dir. der Kommunalkredit.
Marlies Buxbaum, Unternehmensberaterin bzd.
Bettina Selden, Vorstand Prisma Kreditversicherung.
Claudia Belina, Geschäftsführerin von Megaboard.

foto: Regine Hendrich
Neid auf den höheren Bonus. Neid auf das größere Haus, auf die bessere Figur, auf das bessere Leben. Neid als Motor der Volkswirtschaft und Neid als zersetzende Kraft in Unternehmen, in Teams. Neid als „österreichische“ Form der Anerkennung, als Seismograf für unerfüllte Bedürfnisse. Darum ging es im aktuellen Standard-Karrierenforum: um dieses Phänomen, das allgegenwärtig und doch tabuisiert ist.

Michael Ikrath, Generalsekretär des Sparkassenverbandes und VP-Nationalratsabgeordneter, bescheinigt österreichischen Landsleuten von vornherein eine hohe Neid-Tendenz, verbunden mit einem Hang zum Negativieren und Stillstehen – im Gegensatz zu US-Amerikanern, die sich laut einer Studie etwa dadurch, dass ein Kollege stufenweise besser entlohnt wird, keineswegs zurückgesetzt, sondern angespornt fühlen. „Österreicher werden da sauer und neidisch“, die zyklisch wiederkehrende Debatte um die Managergagen zeige das ja eindrucksvoll. Apropos: Ikrath plädiert für die volle Transparenz bei Politikergagen. Das Berufen auf die „Neidgesellschaft“ lässt er nicht gelten.

Der Umgang mit Neid ist für den Chef der Kommunalkredit, Reinhard Platzer, eine zentrale Frage der Unternehmenskultur: „Wie gehen wir miteinander um?“ Zersetzender Neid verunmögliche Teamarbeit, hindere den Informationsfluss. Er gehe das Thema daher offen an. Platzer: „Das kostet Zeit, spart aber noch mehr, weil sich nur so Blockaden verhindern lassen.“

„Neid sieht immer das Blumenbeet, aber nie den Spaten“, zitiert Bettina Selden, Vorstand der Prisma-Kreditversicherung. Besonders negativ erwähnt sie – unter Zustimmung der Runde –, dass die gegenwärtige Werbung besonders stark auf negativen Neid aufgebaut sei. Claudia Belina, Megaboard-Geschäftsführerin, erinnert auch an die Erziehung zum Neid, zu dieser Form der Konkurrenz, und zitiert den Spiegel der Königin in „Schneewittchen“. Die Frage, ob Neid weiblich sei, verneint die Runde. Im Ertragen desselben werden aber geschlechtsspezifische Unterschiede gesehen.

Moderatorin Karin Bauer fragt frei nach Wilhelm Busch, ob „Neid wirklich die österreichische Form der Anerkennung“ sei. Dazu Puschmann: „Ausscheren wird nicht gern gesehen – unterscheiden will sich aber letztlich trotzdem jeder.“ Dass dieser Wunsch nach Unterscheidung durch Mobbing und Intrigen bis zur Geschäftsschädigung führen kann, lasse Rückschlüsse auf die große Energie zu, die dem Neid tatsächlich innewohnt: „Dieses Potenzial steht zur Verfügung, man muss es ins Positive umkehren und nutzen.“ Reinhard Platzer, Chef der Kommunalkredit, sieht diesen Aspekt ebenfalls: „Ich muss mich fragen: Ist Neid in meinem Unternehmen eine positive oder eine negative Kraft?“

Auf die Frage, wie in einem Unternehmen konkret dagegen anzugehen sei, antwortet Platzer mit einem Zitat, erläutert aber auch seinen Lösungsansatz: „,Mitleid bekommt man geschenkt, Neid muss man sich erkämpfen‘, heißt es so schön. Wenn bereits ein Neid-Klima besteht, ist die beste Lösung, es offen anzusprechen. Wenn die Kollegen nicht wollen, sie sogar zum reflektierenden Gespräch zwingen!“

Ursula Puschmann, selbstständige Beraterin und Coach, stimmt dem zu und sieht darin eine Chance, sich mit den eigenen Bedürfnissen ehrlich auseinanderzusetzen. Marlies Buxbaum, Inhaberin des Beraterzentrums Dorotheergasse (bzd), zitiert Victor Hugo, der im Neid nichts anderes als „das Eingeständnis der Minderwertigkeit“ sah, verweist aber auch auf die alttestamentarische Brudertötung, die bis heute prägend sei: „In Österreich herrscht starker Sozialneid, und der Populismus bedient sich dieser Kräfte gezielt auf missbräuchlichste Weise.“ Selbstreflexion und Einsicht aber würden die wache Frage erlauben, ob man destruktiv damit umgeht oder Neid sogar als einen Wachstumsimpuls sieht. Der Konterpart des Neiders – der Beneidete – habe es ja auch nicht leicht: Dass man sich für Besitz oder Können hierzulande geradezu schämt, hätte wohl auch seinen Ursprung in der biblischen Verurteilung. „Nicht umsonst fühlen sich Top-Verdiener oft besonders dazu bemüßigt, viel in Charity zu investieren“, resümiert Buxbaum.

„Auf Neid ist jedenfalls mehr Verlass als auf Solidarität“, bemerkt Bettina Selden. Sie selbst versuche in ihrem Unternehmen, im Neid eine positive Triebkraft zu sehen. „Bei manchen funktioniert das gut, andere können es so überhaupt nicht annehmen.“ Auf die Frage, ob es für sie persönlich ein positives Gefühl sei, beneidet zu werden, gibt Selden unumwunden zu: „Ja, gelegentlich schon.“

Claudia Belina kommt auf die kulturellen Unterschiede zu Amerika zurück: „Dort habe ich erlebt, dass Frauen anderen Frauen viel mehr Anerkennung zollen. Man freut sich über ehrliches Feedback – in Österreich ist so etwas selten möglich. Hier herrscht viel mehr Neid unter Gleichgestellten.“

Platzer formuliert die Unterschiede im Ertragen von Neid zwischen den Geschlechtern: „Männern ist ein toller Dienstwagen oder der neueste Blackberry wichtiger als Frauen.“ Und, ja: Möglicherweise neigten Frauen eher dazu, ihr Licht unter den Scheffel zu stellen, weil es ihnen tendenziell unangenehmer sei, beneidet zu werden. Spreche man Neid aber direkt als Neid an, so „nimmt das dem Ganzen sofort die Spitze“, meint er. Dazu, wie Beneidete – etwa Nachwuchsführungskräfte, die plötzlich eine leitende Position erhalten – mit dem Phänomen umgehen sollten, waren die Diskutanten einer Meinung: nämlich dass speziell diese Neid-Situation alleine schwer zu bewältigen sei und man jene Kollegen unbedingt intern oder extern mit Coaching unterstützen müsse.

Selden: „Junge Führungskräfte brauchen Unterstützung auf dem Weg in die Einsamkeit, wir schicken unsere Jungen in entsprechende Seminare, sonst führen sie nicht, nützen ihre Spielräume nicht.“ Andrea Koblmüller, Eigentümerin der Privatuniversität PEF (mit starkem HR-Schwerpunkt), hält es zudem für zentral, „auch verlieren zu lernen.“ Im Neid und Beneidetwerden steckten immer tiefe Fragen nach dem Selbstbewusstsein und der Selbsteinschätzung.

Puschmann: „Es wird in unseren Breiten viel zu wenig gelobt.“ „Zu wenig gelobt und zu wenig wertgeschätzt, das zieht sich durch sehr, sehr viele Unternehmen“, so Buxbaum. Und: „Das Gegenteil von Neid heißt ‚Dankbarkeit‘, nicht ,Gunst‘“, gibt Marlies Buxbaum in der Finalrunde noch etwas zum Nachdenken mit. „Zu einer solchen Haltung zu gelangen wäre sehr schön.“ (pab, Der Standard, Printausgabe 17./18.11.2007)