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Das erotische Potenzial dieses Ortes wird überschätzt

Foto: AP/Charles Rex Arbogast
Ein Bildschirm sagt mehr als Tausend Worte. Allein die Programmauswahl des TV-Geräts, das in einem Fitnessstudio vor den Laufbändern hängt, sagt sehr viel aus über Zielgruppe, Kundenstruktur und Serviceangebot des betreffenden Unternehmens. Wie ein Köder, den man Ein Bildschirm sagt mehr als tausend Worte. Allein die Programmauswahl des TV-Geräts, das in einem Fitnessstudio vor den Laufbändern hängt, sagt sehr viel aus über Zielgruppe, Kundenstruktur und Serviceangebot des betreffenden Unternehmens. Wie ein Köder, den man nie erreichen kann, hängt die LED-Scheibe den Menschen vor der Nase, die auf dem Laufband mit 12 Stundenkilometern und 850 Stundenkalorien ins Nichts flüchten.

Bildgeschichten

Läuft auf dem Fernseher die Wiederholung eines Fußball-Regionalliga-Spiels, dann ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass Männer hier in der Überzahl sind und in den Nebenräumen freihändig schwere, schwarze Eisengewichte stemmen. Läuft eine Telenovela oder eine Soap-Opera, dann befindet man sich in einem Frauen-Fitnessstudio, die Theke ist wahrscheinlich aus Walnussholz, und in der Luft wabert der Geruch von Honig-Ingwer-Lotion.

Männer, hat mir ein Bekannter nach dem üblichen Post-Trainings-Bier mal erklärt, hätten ein additives Verständnis vom Fitnessstudio, das heißt, sie heben Gewichte, um die Zweikämpfe auf dem Fußballfeld oder den Marathon besser bewältigen zu können. Für Frauen hingegen sei das Studio-Training nur dafür da, dass sie irgendwann so aussehen wie die Soap-Sternchen im Fernseher über dem Laufband. Ach ja, rief ich aus, das zweite Pils im dehydrierten Körper, Männer stählen sich für die Jagd auf den Ball, für Frauen ist selbst Pilates nur Paarungsvorbereitung – was für ein pseudo-psycho-evolutionärer Unsinn.

Der Flirtfaktor

Es ist alles nämlich viel komplizierter. Ein Fitnessstudio ist laut Ratgeberliteratur ein Flirt-Fixpunkt des öffentlichen Lebens wie etwa auch der Waschsalon, wo es für die, die noch an sich arbeiten, die noch nicht angekommen sind im Kernfamilien-Nirvana, eine hohe Wahrscheinlichkeit gibt, sich über den Weg zu laufen. Die Fitness-Freaks demonstrieren Leistungsfähigkeit und -bereitschaft – gerne auch in aller Öffentlichkeit. Und erinnern die hellen Großbild-Schaufenster, in denen wir uns die Energie aus dem Leib laufen, die uns der Arbeitsmarkt nicht mehr abkauft, nicht auch ein wenig an die rot erleuchteten Fenster des Amsterdamer Rotlichtbezirks?

Männer - Frauen

Trotzdem wird das erotische Potenzial dieses Ortes überschätzt. Das Fitnessstudio ist in Wahrheit ein Ort der Geschlechtersegregation. Hier merkt man, was Männer und Frauen trennt. Männer schuften in abgewetzten Hosen. Frauen tragen Gucci-Fitness-Pants aus einem Kaschmir-Polyester-Mix. Männer wollen im Rausch des Rennens die Termine des Tages vergessen. Frauen haben das Handy auch am Butterfly-Automaten dabei. Männer machen ehrliche Sportarten. Frauen jede modische Albernheit. Frauen schwitzen nicht, Männer hingegen sehr – nicht umsonst gehen viele Frauen gerne in Studios, an deren Tür ein Toilettenmännchen rot durchgestrichen ist. Wir müssen leider draußen bleiben. Nur Schule und Gefängnisse – die anderen großen Selbstverbesserungsinstitutionen der Moderne – haben eine stärkere Geschlechtertrennung.

Alles für den Sixpack

Und doch kann man im Fitnessstudio auch lernen, was die Geschlechter verbindet. Und nein, es ist immer noch nicht die Liebe. Dies ist das Protokoll eines Selbstversuchs. Zwei Wochen stoppte ich mein übliches, exakt auf 90 Minuten getimtes Programm – sieben Kilometer laufen, 15 Minuten Streching und Crunches, Stimulation ausgewählter Muskelpartien, Sauna, Duschen, Abgang, das Ganze natürlich ohne ein Wort zu sprechen. Stattdessen nahm ich zum ersten Mal das Programm unseres (integrierten) Studios zur Hand, wenig später an Body Components, Taebo, Full Athletic und BBP teil. Zwei Dinge haben mich sehr überrascht: Nach 15 Minuten musste ich meine Premieren-BBP-Session abbrechen. (Was sind das für unbekannte Muskel? Was sind das für Schmerzen?) Und: 50 Prozent der Teilnehmer waren Männer.

Körperpraktiken, schreibt der Sport-Historiker Thomas Alkenmeyer, sind Teil einer Bildungs- und Repräsentationsarbeit, mit der sich die Subjekte eine erkennbare soziale Form geben. Der komplette Diskurs über die Entstehung des Bürgertums im 19. Jahrhundert übrigens, und das kann man hier leider nur anreißen, basiert wesentlich auf der Neudefinition einer produktiven, autonomen Körperlichkeit – die neue Klasse ersetzte die horizontale Haltung (Adeliger auf Liege / buckelnder Kammerdiener) durch die Vertikale (Bürger mit Zylinder).

Weibliche Errungenschaften

Und, darauf weist Alkenmeyer ausdrücklich hin, bis zur Französischen Revolution bewegten sich beide Geschlechter dieser neuen Klasse mit "raumgreifenden Schritten und neuer Energie"; bis die Errungenschaften weiblicher Emanzipation dann durch kulturelle und modische Normen wie Stöckelschuhen zunichte gemacht wurden. Training und körperliche Betätigung ist Frauen nur erlaubt, wenn sie auch der Erfüllung von herrschenden Schönheits-Mustern dienen. Daran wird sich, so leid es mir tut, auch nichts ändern. Neu hingegen ist, dass auch die Männer plötzlich Interesse zeigen an Tiefen-Muskulatur und Ernährungsplan und sich gerne zum Bindegewebs-Proseminar am Sonntagmorgen anmelden. Die Unterdrücker von einst unterdrücken sich nun auch noch selbst, arbeiten an Abs, Pecs, Calfs, geben alles für den Sixpack und unterwerfen sich so der Logik des psycho-physischen Selbstdesigns, die sie gegen die Risiken der Konkurrenzkämpfe auf dem Liebes- und Arbeitsmarkt versichern soll. Oder anders: Männer machen nun auf eine Art und Weise Sport, die sie den Frauen früher immer aufgezwungen haben. Im 21. Jahrhundert, das ist die gute Nachricht im Geschlechterkampf, stehen Männer und Frauen gemeinsam auf der Verliererseite. Lasst uns Händchen halten! (Tobias Moorstedt*, DER STANDARD, Printausgabe, 17.11.2007)