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"Null esoterisch!", höre ich mich sagen, wenn jemand nach meiner Yoga-Stunde fragt. Aber das stimmt nicht. Ich schlage eine Brücke und stehe Kopf. Und immer versuche ich mich noch weiter in die Dehnungen zu atmen: einatmen, ausatmen, loslassen. Ich habe – nach drei Jahren – einen längeren Atem bekommen.

Foto: REUTERS/Susana Vera
Mein Herz pocht. Ich laufe, in Socken. Rauf in den dritten Stock. Ich hetze, nehme zwei Stufen auf einmal und öffne die Tür zu Studio zwei. Atemlos nehme ich eine der blauen Matten und rolle sie aus, dort, wo noch Platz ist zwischen den anderen blauen Matten. Schnell streife ich meine Socken ab und stelle mich barfuß an den Anfang meiner Matte. Ich lasse die Schultern fallen und falte die Hände vor meiner Brust, atme tief durch und schließe meine Augen. Es ist Mittwoch, kurz nach 18 Uhr. Jetzt beginnt Yoga. Jetzt wird alles gut.

Kleine Yoga-Welt

Ich weiß nicht mehr, was ich mir unter Yoga vorgestellt habe, bevor ich damit angefangen habe. Aber es wird das gewesen sein, was viele damit verbinden: Menschen, die im Schneidersitz am Boden sitzen und Om singen. In meine kleine Yoga-Welt bin ich eingetreten, als ich vor drei Jahren durch die Fensterscheibe ins Studio zwei geschaut und Menschen beim Bodenturnen beobachtet habe. Ich kam vom Laufband im zweiten Stock, hatte meinen iPod um den Hals und dicke Laufschuhe an den Füßen. Ich kam von einem anderen Fitness-Planeten. Was ich sah, fand ich langweilig. Auf dem Stundenplan las ich: "Hatha-Yoga, Manuela". Weil Freunde von Yoga schwärmten, öffnete ich die Tür, nahm eine Matte und zog meine Laufschuhe aus.

Lernen

Ich hatte sie seither nicht mehr oft an, dafür aber einiges gelernt, zum Beispiel, dass Yoga nicht so einfach ist, wie es ausschaut. Wer durch die Glasscheibe schaut, denkt sich: Was ist dabei, am Boden zu sitzen, die Beine auszustrecken, den Rücken gerade zu halten und sich mit den Handflächen an den Seiten abzustützen? Es ist anstrengend – und ganz nebenbei gut für den Rücken. "Wir richten uns auf", sagt Manuela über die Klänge ihrer Ambient-Musik hinweg. Ihre Stimme klingt kehlig, fast verrucht und torpediert jedes Klischee.

Sie macht Witze (zu auftrainierten Männern, die beim Yoga schwächeln), trägt Farbe an den Nägeln und aus ihrer Kopfmitte entspringt ein langer, brauner Zopf. Wie alt sie ist, lässt sich schwer schätzen. Sie hat einen erwachsenen Sohn und sie hat einen jungen, unglaublich beweglichen Körper. Er steckt in einem schwarzen Ganzkörper-Gymnastiktrikot.

Beweglichkeit und Entspannung

Ich will auch einen Körper, der so beweglich ist, denke ich, während ich mich zu Manuelas Anweisungen bewege. Deswegen bin ich auch hier. Dabei klinge ich wie ein Kleinkind, das gerade eingeschlafen ist. Ich höre mich röcheln. Ich atme Ujjayi (gesprochen Utschei), sauge Luft durch die Nase ein, presse sie durch meine Luftröhre und atme sie wieder aus. Dabei hebt und senkt sich der Brustkorb, die Luft soll bis in die Flanken fließen. Es wirkt tatsächlich entspannend und ich verwende diese Technik mittlerweile, um mich auch abseits der Yoga-Stunde zu beruhigen. Zum Beispiel bevor ich bei meinem Chef über eine Gehaltserhöhung verhandle. Aber an solche Situationen denke ich jetzt nicht, denn ich muss mich nicht nur aufs Atmen konzentrieren, sondern halte auch meine rechte Hand zwischen den Schulterblättern und greife mit der linken Hand danach. "Keine Übung soll wehtun!", sagt Manuela. Ich versuche zu lächeln.

Wunder Punkt

Mit Yoga habe ich meinen Körper kennengelernt, der obere Rücken ist mein wunder Punkt. In schwachen Momenten, in denen ich die Hände am Rücken nicht zusammenbekomme, denke ich immer, dort sitzen meine Konflikte, dort sitzt die Last. Langsam glaube ich das wirklich und nicht nur, wenn ich Yoga mache. Ich befinde mich in einem Zustand zwischen An- und Entspannung. Manuela beugt sich jetzt mit einem perfekt gestrecktem Rücken weit nach vorne. Ich schaffe es gerade einmal ein paar Zentimeter.

"Loslassen"

Yoga erschließt sich nicht sofort. Es braucht Zeit – zum Üben und Besserwerden. Immer wieder kommen Anfänger in das Studio zwei und zeigen auf, so wie ich vor drei Jahren, wenn Manuela fragt: "Wer hat noch nie Yoga gemacht?" Es sind das nicht mehr nur Frauen, sondern auch Männer. Und es werden immer mehr, die hier offensichtlich etwas finden, was sie vorher vielleicht gar nicht gesucht haben. Manchmal ist der Saal mit der Spiegelwand zum Bersten voll und die Matten liegen wie kleine blaue Inseln dicht nebeneinander. Ich höre meine Nachbarn atmen und kann sie riechen und beim Sonnengruß kaum noch die Arme zur Seite ausbreiten. "Das Ziel von Yoga ist es, von der Umgebung loszulassen", sagt James, mein zweiter Lehrer gerne. Beim Yoga bleiben ohnehin alle freundlich, außer es kommt kein Lehrer und die Stunde fällt aus, dann werden auch Yoga-Menschen ungemütlich.

"Im Hund"

Yoga hilft mir, runterzukommen. "Soll ich dich ins Yoga fahren?", fragt mich mein Mann manchmal, und er meint: "Mach sofort Yoga, du bist unausstehlich!" Ich stehe im Hund. Das heißt: Zuerst knie ich auf allen Vieren und drücke dann mein Gesäß in Richtung Decke. Die Arme gestreckt, der Kopf locker. Wenn ich im Hund bin, bin ich stolz – darauf, wie stark ich geworden bin. Mein Blick sollte auf meinem Nabel ruhen. Aber manchmal schaue ich – durch meine Beine – auf die anderen, die aufgeben und in die Embryostellung sinken. Yoga sollte ganz ohne Ehrgeiz funktionieren. So weit bin ich noch nicht. Gedanken schießen durch den Kopf – Hat das Kind das Sparschwein schon ausleeren lassen? – und sie ziehen weiter. In guten Stunden bin ich nur auf die Asanas, die Haltungen, konzentriert. Das macht süchtig.

Vor dem Spiegel verbeugen

Zweimal pro Woche stehe ich um 18 Uhr auf der Matte. Jeder Yoga-Lehrer hat seinen Stil, bestimmte Eigenheiten. Bei Manuela und James kann ich die Stunde im Geist schon mitsprechen. Ihre Anleitungen sind wie ein Mantra, das sich im Kopf festgesetzt hat: Einatmen, ausatmen, Schritt zurück, Brett, Knie, Brustkorb senken ... wir sind beim Sonnengruß. Manuelas kehliger Sing-sang legt sich über die asiatische Musik drüber. Ich mache mit, wie in Trance, ohne an irgendetwas noch zu denken, ... ausatmen, nach oben, Beine schließen, einatmen, aufrichten. Mein Kopf ist vollkommen leer.

Rituale

Nach den Sonnengrüßen verneigen sich alle vor der Sonne. Vor dem Spiegel. Vor Manuela. Früher war mir das unangenehm, heute ist es ein Ritual, und ich muss lächeln, weil ich mich sagen höre: "Null esoterisch!", wenn mich jemand nach meinem Yoga fragt. Aber das stimmt nicht ganz. Ich stehe in der Baumhaltung mit einem Bein fest am Boden, strecke die Arme nach oben und halte mein Gleichgewicht. Und denke: Wie gut, dass ich mit beiden Beinen fest im Leben stehe. Ich strecke meine Arme auseinander, ziehe das Brustbein nach oben, taxiere einen Punkt an der Wand und bin im stolzen Krieger – und möchte den bitte auch in meinen Berufsalltag mitnehmen.

Ich hocke mich in die Taube. Die hilft, sagt Manuela, gegen Orangenhaut und das finde ich auch nicht wirklich schlecht. Ich schlage eine Brücke und stehe Kopf. Und immer versuche ich mich noch weiter in die Dehnung zu atmen. Einatmen, ausatmen – und loslassen. Ich habe einen längeren Atem bekommen.

Auf einer Blumenwiese

Gegen Ende legen sich alle auf den Rücken, ich decke mich mit einem Handtuch zu. In der "Totenstellung" fallen meine Zehen locker nach außen, meine Handflächen zeigen nach oben. Manuela zündet ein Räucherstäbchen an und senkt die Stimme: "Wir stellen uns jetzt eine wunderschöne Blumenwiese vor. Wir treten ins weiche, kühle Gras ..." Der Fluchtimpuls, den ich in der ersten Stunde verspürte, ist lange schon vorbei. Ich liege auf meiner blauen Insel und von weit her (vom Studio 1) höre ich den dumpfen Aufprall von Laufschuhen am Laufband.

Auf einem anderen "Planeten"

Ich bin längst auf dem anderen Fitness-Planeten gelandet, denn goldenes Sonnenlicht durchströmt meinen Körper, breitet sich in meinem Brustkorb aus und lässt mein Herz erstrahlen ... ich gehe über das weiche, wundervolle Gras zurück ins Hier und Jetzt, bewege Zehen und Finger, strecke mich nach oben, rolle zur rechten Seite und richte mich wieder auf. Ich sitze vor Manuela im Lotossitz, falte die Hände vor meiner Brust, meine Wirbelsäule ist gestreckt. Ich atme lange ein und singe laut: AAA – OOO – MMM. Alles in mir vibriert. Ich verbeuge mich. Anschließend ziehe ich meine Socken wieder an, stehe auf und lege die blaue Matte zurück auf den Stapel. Kante, an Kante, so wie James das gerne hat. Hinter mir fällt die Tür von Studio zwei ins Schloss. Ich gehe zurück zu den Umkleidekabinen. Ich laufe nicht mehr. Jetzt ist alles gut. (Mia Eidlhuber*, DER STANDARD, Printausgabe, 17.11.2007)