Das Zentral-bahnhofsgelände als Case-Study für unterschied-liche Wettbe-werbskulturen: Der öffentliche Auftraggeber ÖBB schreibt privat aus, der private Auftraggeber Immorent öffentlich. Kurios.

Foto: ÖBB
Der Sündenfall erfolgte bereits vor zwei Jahren – und keiner hat damals laut aufgeschrien.

Niemand hat energisch genug und öffentlich die Frage gestellt, wie es denn sein kann, dass die Planung eines der wichtigsten neuen Gebäude der Bundeshauptstadt Wien, nämlich des ab 2012 den Südbahnhof ersetzenden Zentralbahnhofs, vergeben werden konnte, ohne zuvor den bewährten Prozess eines öffentlichen Architekturwettbewerbs zu durchlaufen. Doch das war nur der Anfang einer sich fortsetzenden, durchaus hinterfragenswerten Entwicklung.

Die Architektur des Bahnhofs wird von den ÖBB lediglich als notwendiges Beiwerk erachtet, als Anhängsel der – logischerweise EU-weit ausgeschriebenen – Infrastrukturmaßnahmen Schiene & Co, und das offensichtlich in trautem Einvernehmen mit der Wiener Stadtplanung.

Es handle sich dabei ja "nur um ein Dach" und diverse Shopping-Zonen, meint der für die Projektentwicklung Bahnhofsoffensive zuständige ÖBB-Manager Norbert Steiner im Gespräch mit dem Standard. Das Gesamtpaket Zentralbahnhof wiege knapp 700 Millionen Euro schwer, der Anteil der Gebäude daran betrage "nur" etwa 100 bis 110 Millionen.

Das Architektenteam Wimmer, Hotz, Hoffmann wurde von den im Verfahren siegreichen Bahnhofserrichtern quasi aus dem Hut gezaubert und im Paket mitgeliefert.

Auch ist für den Bahnhof die ÖBB-Infrastruktur Bau AG zuständig, nicht deren Tochter, die ÖBB-Immobilienmanagement GmbH. Letztere kümmert sich vielmehr um die Verwertung der zehn Millionen Quadratmeter Bundesbahn-Grundstücksflächen, und rund um den alten Süd- und Ostbahnhof tut sich hier ein weites Betätigungsfeld auf.

Auf diesen ÖBB-Gründen entsteht in den kommenden Jahren nichts Geringeres als ein neuer Stadtteil für die Bundeshauptstadt, mit Wohnquartieren, Bürogebäuden, Schulen, Kindergärten, Parks.

Was für eine Chance für Wien, welch großartige Herausforderung für Planer, Architekten, Städtebauer. In anderen europäischen Metropolen installiert man in solchen Fällen sofort mit der entsprechenden Begeisterung hochqualifizierte interdisziplinäre Projektteams, um die unterschiedlichen Interessenlagen von Grundstücksbesitzern, Investoren, Nutzern etc. zu bündeln und auf einen gemeinsamen, nicht zuletzt auch der Stadt dienlichen Nenner zu bringen.

In der Folge ruft man über präzise formulierte internationale Wettbewerbe die gesamte Planerintelligenz Europas auf, die besten, innovativsten und kreativsten Vorschläge zu unterbreiten. Was die im Übrigen praktischerweise gratis zu tun pflegen. Und ja – ein solches Verfahren erfordert großen Einsatz seitens der Organisatoren, es ist aufwendig, braucht entsprechende Zeit. Doch vorausgesetzt Ausschreibung und Juryzusammensetzung sind hervorragend, werden auch die Resultate erstklassig sein.

In Wien ist die Stimmung zwischen Stadtplanung einerseits und Architekturschaffenden andererseits aber an einem historischen Tiefpunkt angelangt. So kam es, dass bereits der städtebauliche Masterplan und damit die wichtigste Weichenstellung für den neuen Stadtteil in einem nicht öffentlichen Expertenverfahren gefunden wurde, zu dem ÖBB und Gemeinde gemeinsam lediglich eine ausgewählte Handvoll Architekten eingeladen hatten. Ob das die Basis für zukunftsgerichtete Stadtentwicklung sein kann, ist mehr als fragwürdig.

Fragwürdige Stadtentwicklung

Doch zum Verständnis im Detail: Die Grundstücke gehören den ÖBB, 120 der 700 Zentralbahnhofsmillionen müssen über die Verwertung derselben aufgebracht werden. Die restlichen 480 stammen aus Bundesmitteln (Rahmenplan), 60 erhofft man sich von der EU (TEN-Förderung), 40 kommen von Wien.

Nicht zuletzt deshalb sieht sich die ÖBB-Immobilientochter, die eben diese 120 Millionen auftreiben muss, als privatwirtschaftlich agierendes Unternehmen, das somit nicht dem Bundesvergabegesetz unterliegt und demzufolge auch nicht öffentlich über EU-weite Wettbewerbe ausschreiben muss. Dass sie das natürlich könnte, wenn sie wollte, steht wieder auf einem anderen Blatt.

Die ÖBB und damit auch ihre Grundstücke stehen zu 100 Prozent im Eigentum der Republik, sie gehören weder den neuerdings so immobilienkundigen ÖBB-Häuptlingen noch den so investorenfreundlichen Stadtplanern, also sollte man annehmen dürfen, dass mit diesem kostbaren Tafelsilber gemeinschaftlich in einer wenigstens andeutungsweise wettbewerbsgerechten Art und Weise umgegangen wird.

Doch solcherlei Rechts- und Moralverständnis sind offenbar komplett aus der Mode gekommen, und sicherheitshalber wurden zwei – bis dato unter Verschluss gehaltene – Gutachten erstellt, die den ÖBB, so behaupten sie selbst, die Freikarte für privatwirtschaftliches Agieren ausstellen. Eines davon stammt von Eduard Saxinger, mittlerweile Vizepräsident des ÖBB-Holding-Aufsichtsrats.

Und da sowohl die Architektenschaft als auch deren Standesvertretung offenbar von mümmelgreisartiger Zahnlosigkeit sind, wird die Angelegenheit nicht hinterfragt, ja es sitzt sogar deren Bundeskammerpräsident Georg Pendl in der Jury des nächsten ÖBB-Immo-Wettbewerbs. Vom Standard befragt, plagen ihn allerdings mittlerweile bereits Bedenken, ob hier wirklich alles mit rechten Dingen zugehe.

Versierte Vergabejuristen wie Christian Fink, der sowohl für die Kammer als auch im Bundesvergabeamt tätig war, glauben jedenfalls nicht an die wasserdichte Absolution vom Bundesvergabegesetz, und selbst ÖBB-Mann Steiner scheint nicht ganz wohl bei der Sache zu sein, zumal er meint, dass im Falle einer Überprüfung zumindest mit empfindlichen Verzögerungen zu rechnen sei. Eine entsprechende Überprüfung müsste das Bundesvergabeamt durchführen, doch, so deren Vorsitzender Michael Sachs, dürfe man in der Sache nur ab dem Moment aktiv werden, in dem ein Antrag vorliege. Den gibt es aber nicht, und wo kein Kläger, da kein Richter.

Geladenes Expertenverfahren

Deshalb haben die ÖBB nun ein weiteres "Expertenverfahren" unter Ausschluss der Öffentlichkeit am Kochen, das die Bebauungsvorschläge für jenen Zwickel des Geländes vorsieht, der zwischen neuem Bahnhof und Gürtel liegt.

Eingeladen wurden acht Teams, und in einem der Gebäude – just dem mit 100 Metern höchsten – soll unter anderem die ÖBB-Konzernzentrale untergebracht werden, was auch nicht eben auf rein privatwirtschaftliche Belange hindeutet.

Doch gleich neben dem nun solchermaßen von einem öffentlichen Unternehmen privat entwickelten Areal zeigt Immorent, die Immobilientochter der Erste Bank, vor, wie Immobilienentwicklung auch funktionieren kann. Wenn man will.

Sie hat den ÖBB den Grund abgekauft, und eben für das neue Headquarter der Erste Bank ein EU-weites Bewerbungsverfahren ausgeschrieben. Seit dieser Woche stehen die Namen jener 15 Büros fest, die von einer hochkarätigen Jury aus 200 Bewerbern zur weiteren Entwurfsarbeit ausgewählt wurden. Darunter finden sich Caruso St. John Architects (London), Niels Torp (Oslo), Ingenhoven (Düsseldorf), Burkhard Meyer sowie Marcel Maili und Markus Peter (Schweiz). Die Riege der Österreicher setzt sich aus der Oberliga zusammen: Henke Schreieck, Adolf Krischanitz, Pauhof, Klaus Kada, Ortner & Ortner und Baumschlager Eberle.

So viel zum Argument von ÖBB und Stadtplanung, man könne über internationale Verfahren keine namhaften Architekten akquirieren. (Ute Woltron, ALBUM/DER STANDARD/Printausgabe, 17./18.11.2007)