Wien – Wie sehr der Begriff der Neuen Musik als gültige Schublade für die nach 1945 komponierte Musik eigentlich infrage zu stellen ist – dies verdeutlichte das zweite Konzert des Radio-Symphonieorchesters Wien im Konzerthaus bei Wien Modern.

Denn nicht nur, dass sich Pierluigi Billones an diesem Abend uraufgeführtes Bocca. Kosmoi (ein Kompositionsauftrag des Festivals) und Luigi Dallapiccolas 1954 komponierte Variationen für Orchester klanglich und strukturell grundlegend voneinander unterschieden, sie verkörpern auch gänzlich unterschiedliche Grundhaltungen.

Billones Werk für Stimme, Posaune und Orchester ist ein minutiös ausgearbeitetes Spiel mit Unschärfen, es gerät zum Nachtstück, in dem sich klangliche, harmonische und strukturelle Grenzen zugunsten eines fein oszillierenden Klangbildes aufheben. Ein oberflächliches Hören lässt die Musik durch die Komplexität der Klangereignisse glücklicherweise nicht zu – das will erlauscht werden. Ein Ohrenöffner. Es war faszinierend, unmittelbar danach Dallapiccolas dodekafonisch komponierte Variationen zu hören. Vor allem wurde deutlich, wie sehr diese Klangsprache bei aller damaligen Modernität noch mit Komponist Gustav Mahler, ja sogar mit Franz Schubert in Verbindung steht. Das Orchester unter Stefan Asbury spielte – so wie auch bei Billone – mit viel Zurückhaltung und Sensibilität, wenn es um klangliche Zwischenräume ging.

Taghelle Klarheit und ein kammermusikalisches Musizieren dominierten dagegen bei den vor der Pause gespielten Werken – Luciano Berios Formazioni(aus dem Jahr 1986) und Luca Francesconis Encore/Da capo für neun Instrumente (1985 bis 1995). Zum einen ging es darum, die Klangereignisse aufzufächern, zum anderen war man bestrebt – bei Francesconi –, die Verdeutlichung der formalen Entwicklung zu forcieren. (Robert Spoula, DER STANDARD/Printausgabe, 17./18.11.2007)