Asma Jehangir ist dieser Tage angeblich sehr müde. „Sie schläft“, behauptet eine Männerstimme an ihrem Telefon. Es ist zehn Uhr morgens. Sie schläft auch noch um elf, zwölf, um ein und zwei Uhr mittags. Jehangir wohnt an einer breiten, befahrenen Straße in Lahores Stadtteil Gulberg. Eine hohe Mauer und ein schmiedeeisernes Tor versperren die Sicht auf ihr Haus. Davor sitzen Polizisten auf einer Bank, einer hat ein Maschinengewehr in der Hand. Sie sind höflich. „Sie können nicht zu Frau Jehangir. Sie steht unter Hausarrest“, sagt eine Polizistin. Warum? Sie lacht verlegen. „Ich weiß nicht.“

Sie dürfte den Grund auch nicht sagen: Weil General Pervez Musharraf Angst hat vor Asma Jehangir. Vor dieser kleinen Frau, die gerade 152 Zentimeter groß ist. Asma Jehangir ist Vorsitzende von Pakistans Menschenrechtskommission und Anwältin am Verfassungsgericht. Seit zwei Wochen darf sie ihr Haus nicht mehr verlassen. Wie tausende andere Kritiker im ganzen Land auch, die meisten Juristen, Journalisten, Bürgerrechtler und Oppositionspolitiker.

Musharraf hat die Köpfe der bürgerlichen Opposition weggesperrt, um Proteste gegen den Notstand im Keim zu ersticken. Doch im Zeitalter von Internet und Handy ist das nicht mehr so einfach. Immer wieder gelingt es Jehangir, Botschaften aus den heimischen vier Wänden zu schmuggeln, die nun ihr Gefängnis sind. „Ich bin noch gut dran. Aber tausende Anwälte sitzen im Gefängnis, werden geschlagen und gefoltert, während Terroristen frei herumlaufen und immer mehr Raum in Pakistan besetzen.“

Nur wenige Kilometer entfernt, in Lahores Nobelviertel Defence Housing, steht zu dieser Zeit auch noch eine andere Frau unter Hausarrest: Benazir Bhutto, Chefin der größten Oppositionspartei PPP. Die Mauern hier sind dicker und die Villen größer. Es gibt schlimmere Orte, um festzusitzen. Auf den Rasenstreifen am Straßenrand lungern Kamerateams und Journalisten herum. Bhutto hat sich mit Musharraf überworfen und den von den USA orchestrierten Machtpakt aufgekündigt. Gerade ist ein US-Gesandter bei ihr. Washington ist nervös. Man fürchtet ein Machtvakuum in dem Atomstaat.

Lahore, die zweitgrößte Stadt, gilt als Zentrum des bürgerlichen Widerstandes gegen das Militärregime. Und doch nimmt das Leben seinen normalen Gang. Es ist ein seltsamer Ausnahmezustand. Die meisten nehmen die Situation merkwürdig still hin. Bereits 13-mal stand das Land seit seiner Unabhängigkeit vor 60 Jahren unter Notstand. Hie und da flammen Proteste auf, aber es gibt keine Massenaufstände und keine Großkundgebungen.

Der Kampf gegen das Regime wird nicht auf den Straßen ausgetragen, sondern in den Medien und den Gerichten. Wer glaubt, eine geknebelte Presse vorzufinden, täuscht sich. Die Zeitungen sind kritisch, ja despektierlich. Sie berichten über Festnahmen, Folter und Proteste, sie verhöhnen Musharraf als „the great leader“, den großen Führer, und machen sich in Karikaturen über den stolzen Vier-Sterne-General lustig. Und sie drucken Leserbriefe und Aufrufe: „Gebt uns unser Land zurück“, fordern 75 Bürger in einer Anzeige. Sie haben mit Namen unterzeichnet. Seit Donnerstag sind auch vier Nachrichtenkanäle wieder auf Sendung. „Ausnahmezustand, Tag 14“ prangt unentwegt in der oberen rechten Ecke von Dawn News. Es ist ein stiller Dauerprotest.

„Der Westen weiß nichts über Pakistan“, sagt Ejaz Haider wütend. „Wir sind nicht Burma oder Lateinamerika.“ Haider kennt die Welt, er war in den USA, in Europa – und für die Grünen-nahe Heinrich-Böll-Stiftung immer wieder in Berlin. Der 45-Jährige ist Herausgeber der Daily Times, einer von Pakistans liberalen Zeitungen. Und er bleibt in seinen Aussagen sehr abwägend. „Lassen Sie uns die Dinge zurechtrücken“, sagt er.

„Gestern habe ich einen kritischen Artikel geschrieben. Was glauben Sie, was in Burma oder Lateinamerika passiert wäre: Ich wäre schon längst auf Nimmerwiedersehen verschwunden.“ Die Geschichte des Ausnahmezustandes hört sich anders an aus seinem Mund. Sehr unaufgeregt, sehr nüchtern. „Musharraf hat den Ausnahmezustand sehr, sehr widerwillig verhängt“, sagt er. Ist Musharraf ein Diktator? Er zögert, sucht nach den richtigen Worten. „Ich denke nicht, dass er ein waschechter Diktator ist. Aber er hat ein Problem mit dem Timing.“ Vielleicht könnte man auf gut Deutsch auch sagen: Er hat ab und zu einen Aussetzer. (Christine Möllhoff aus Lahore/DER STANDARD, Printausgabe, 17./18.11.2007)