Josef Esser

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Mit dem Politologen sprach Birgit Baumann.

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STANDARD: Wer knickt als Erster ein? Die Lokführer oder die Bahn?

Esser: Wollen Sie mit mir Kaffeesatz lesen? Im Ernst: Es ist schwierig, das abzuschätzen. Letztendlich glaube ich, dass den Lokführern die Puste ausgeht.

STANDARD: Haben diese doch nicht so viel Geld in ihrer Streikkasse, wie sie immer behaupten?

Esser: Nach Schätzungen ist die GDL-Streikkasse mit 50 Millionen Euro gefüllt, es hat ja seit 1949 noch keinen Bahn-Streik gegeben. Doch wenn der Arbeitskampf massiv geführt wird, dann schwindet die Zustimmung der Bevölkerung, und die wirtschaftlichen Folgen werden größer – was auch den Druck erhöht.

STANDARD: Aber wie könnte eine Lösung in dieser völlig verfahrenen Situation aussehen?

Esser: Man könnte die Lokführer in eine eigene Servicegesellschaft ausgliedern und ihre speziellen Bedürfnisse wie Ruhezeiten oder bessere Aufstiegsmöglichkeiten erfüllen. Bei aller Kritik an der GDL – um diese hat sich die Bahngewerkschaft Transnet nie gekümmert.

STANDARD: Das scheint der GDL ziemlich egal zu sein. Sie will sich von anderen ja abkoppeln.

Esser: Es ist ein Kampf jeder gegen jeden. Wir erleben ein Hauen und Stechen, das unsolidarisch ist, weil sich die GDL auf Kosten anderer Berufsgruppen Vorteile erkämpfen will. Diese Verschiebung sieht man im Gesundheitsbereich: Seit die Krankenhausärzte eine eigene Gewerkschaft haben und für sich kämpfen, geht es den Pflegern schlechter.

STANDARD: Was würde es für die Wirtschaft bedeuten, wenn jeder für sich kämpft?

Esser: Es wäre wettbewerbsfeindlich. Der Flächentarifvertrag in Deutschland – wie auch in Österreich und Skandinavien – ist ein erprobtes Konsensmodell. Er garantiert Unternehmen, die am Weltmarkt agieren müssen, Planungssicherheit bei der Kalkulation der Löhne und der Arbeitsstunden.

STANDARD: Dann muss die Wirtschaft Bahn-Chef Hartmut Mehdorn für seine Hartnäckigkeit ja eigentlich dankbar sein.

Esser: Ja – auch wenn sie durch den Bahn-Streik Schäden erleidet. Denn wenn sich die GDL durchsetzt, dann droht ein Kampf jeder gegen jeden. In den 60ern gab es in Großbritannien 500 bis 600 Gewerkschaften, da hat dauernd irgendjemand gestreikt. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 17./18.11.2007)