Coverfoto: C.H. Beck Verlag

"Als mein Vater starb, glaubte eine meiner Schwestern, eine Tante übe möglicherweise Hexerei gegen unsere Familie. Sie aß nichts von der Nahrung, welche die Tante uns während der Trauerzeit geschickt hatte, und ließ auch nicht zu, dass die übrigen Familienmitglieder davon aßen. (...) Meine Schwester sorgte dafür, dass wir einen weiteren Widder kauften und zu unserem Schutz opfern ließen". Allein kraft seiner Herkunft und kraft seiner Lebensgeschichte ist Kwame Anthony Appiah ein berufener Mann, um über Kosmopolitismus nachzudenken.

Der in London geborene, in Ghana aufgewachsene und heute an der Universität Princeton lehrende Philosoph verfügt über ein ganzes Arsenal an unterschiedlichsten Erfahrungshorizonten, an denen er den Leser großzügig teilnehmen lässt.

Sie reichen vom bodenständig-urwüchsigen Leben in Ghana, wo der Glaube an Übersinnliches und Orakel noch mächtig verbreitet ist, bis hin zum turbulenten Melting Pot New York, wo ein Passant auf der Fifth Avenue "an einem ganz normalen Tag mehr Menschen sieht, als es die meisten der prähistorischen Jäger und Sammler in ihrem Leben jemals gesehen haben." Gibt es, pathetisch gesprochen, in dieser "glokalisierten" Welt "Brücken", die auf den ersten Blick radikal divergierende Lebenswelten miteinander in Verbindung bringen können? Ist ein verständnisvolles und friedliches Zusammenleben der Menschen trotz all ihrer unterschiedlichen Erfahrungen und trotz all ihrer Werte- und Glaubensdifferenzen möglich?

Dies sind die zentralen Fragen, denen sich Appiah in seiner anregenden Studie widmet - und die er, von einer durchgängig optimistischen Haltung getragen, auch positiv beantwortet: "Kosmopoliten gehen davon aus, dass es im Wortschatz der wertenden Sprache aller Kulturen ausreichende Überschneidungen gibt, um den Beginn eines Gespräches zu ermöglichen. Aber im Unterschied zu manchen Universalisten unterstellen sie nicht, dass wir alle zu übereinstimmenden Auffassungen gelangen könnten, wenn wir nur denselben Wortschatz hätten."

Diese zuversichtliche Grundhaltung macht den Kosmopoliten gleichsam zu einer Art Anti-Huntington, zu einem Plädoyer für ein Miteinander der Kulturen, welche nach Appiahs Überzeugung keineswegs zwangsläufig miteinander auf Crash-Kurs geraten müssen, wie dies sein pessimistischer Gegenspieler Samuel Huntington insinuiert.

Appiah ist dabei alles andere als ein realitätsferner Idealist - weite Teile seines Buches beschäftigen sich mit der Erfahrung des Trennenden, mit unterschiedlichen Wertevorstellungen, aber auch mit Fanatismus, Intoleranz und Grausamkeit. Ihnen gegenüber, so eine These des Moralphilosophen, ist kein Relativismus erlaubt; sondern sie müssen auf der Basis eines gemeinsamen universalen Werteverständnisses abgewehrt werden. "Freundlichkeit" ist die zentrale Eigenschaft, die Appiah für die Herausbildung eines aufgeklärten Weltbürgertums, das alleine ein gutes globales Zusammenleben ermögliche, empfiehlt. Und diese Tugend hat für Appiah nicht nur einen emotionalen Aspekt, sondern auch einen kognistiven: Sie setze ein Wissen um den anderen und ein Wissen um die weltweite Verantwortung des Einzelnen voraus, welche Appiah in der Politik - und vor allem in der Entwicklungspolitik - noch schmerzlich vermisst. (Christoph Winder/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 17./18. 11. 2007)