In den "naivsten Jugendtönen" werde hier "das ungeheure erhabene Martyrium dargestellt", sagte Heinrich Heine einst über die Rossini-Vertonung des Stabat Mater, jenem Gedicht der Passionsmystik, das den Schmerz Marias um den gekreuzigten Gottessohn besingt.

Diesen Schmerz, in der Vertonung von Giovanni Battista Pergolesi, aber in absoluter Vollkommenheit zu fassen, ist das Vorhaben, mit dem Nicola Lecca in seinem Roman Hotel Borg mehrere Geschichten verknüpft. Etwa die von Alexander Norberg, einem weltbekannten Dirigenten, der am Höhepunkt von Ruhm und Anerkennung beschließt, sich mit eben diesem ultimativen Konzert als einzig wahrem Abschied der Öffentlichkeit zu entziehen. Die perfekte Atmosphäre für diese melodisch klare, unendliche und doch wunderschöne Traurigkeit findet er in einer kleinen vereisten Kirche in Reykjavík.

Die Natur Islands, im Winter mit weiten Eis- und Schneeflächen, ist für Norberg eine Metapher für unverdorbenste Reinheit und Freiheit. Dort spielen auch die Geschichten mehrerer Personen zusammen, deren Welt- und Selbstsicht sich im Kontrast zur Reinheit des Schnees "verschwärzt", verlottert, ins "Unreine" verkehrt - obwohl alle Figuren vom gleichen sensiblen Traum nach Perfektion getrieben sind. Der schöne, stets im Glück stehende Hákon etwa, der trotz Eiseskälte nachts mit nacktem Oberkörper durch die Discos der Stadt zieht und nach dem Aufwachen die Frauen in seinem Bett manchmal erst zählen muss, wird von Albträumen geplagt, von "Eiterergüssen des Unbewussten", in denen er sich als Selbstmörder in einer blutgefüllten Badewanne liegen sieht. Bis dahin "war Hákon heiter gewesen, weil er sich eigentlich niemals Fragen über sein eigenes Leben gestellt hatte". Natürlich wird Hákon als einer der nur 50 Zuseher des Konzerts, die Norberg per Zufall aus dem Telefonbuch bestimmt, ausgewählt - ein Musikgeschäft verlässt er aber mit dem "falschen" Stabat Mater. Mühe und Begünstigung

Oscar, dem Schweden, der alles daran setzt, dem Konzert des Maestro beizuwohnen, würde das nicht passieren - seine Mühe und die Begünstigung Hákons stehen aber keineswegs in Relation. Nicola Lecca wurde bereits mit wichtigen italienischen Literaturpreisen ausgezeichnet. Mit Hotel Borg, seinem dritten Roman, wechselte der 31-jährige, aus Sardinien gebürtige Musikkritiker und Autor, der nach langen Aufenthalten in Island momentan in Schweden lebt, von einem kleineren venezianischen Verlag zum großen Haus Mondadori. Die Romanprosa, in zwei Teilen und drei Akten geschrieben, wird immer wieder von Tagebuchnotizen, Briefen oder einzelnen dramatischen Kapiteln unterbrochen und in andere Stimmungen getrieben. Mit seinen einfachen, feststellenden, nie aber kommentierenden Sätzen schafft Lecca ironische Distanz und distanzierte Ironie.

Sein Erzählen, das sich stilistisch wie thematisch dem italienischen Hintergrund entzieht, folgt einem klaren, träumenden, manchmal in seiner Einfachheit und Unvoreingenommenheit geradezu märchenhaften Stil, das Ringen der unterschiedlich verzweifelten Figuren einer fein konstruierten Dramaturgie. Zu Recht wurden von der italienischen Kritik Leccas "sprachliche Weisheit und erzählerische Klugheit" gelobt. Hotel Borg ist die erste Übersetzung Leccas ins Deutsche - der hoffentlich noch weitere folgen werden. (Isabella Hager, DER STANDARD/Printausgabe, 17./18.11.2007)