Das Deutsche Auswandererhaus Bremerhaven.

Foto: Deutsches Auswandererhaus Bremerhaven

Die Wartehalle.

Foto: Deutsches Auswandererhaus Bremerhaven

Ocean Cinema im Auswandererhaus.

Foto: Deutsches Auswandererhaus Bremerhaven

"Warnung", steht an der grau verputzten Wand, "Die Auswanderer werden vor Bauernfängern, Taschendieben gewarnt." Ein alter, rostiger Eisenofen, dunkle Holzbohlen, vernagelte Fenster. Stimmengewirr und knarrende Bretter. 1887: Georg Unger sucht einen Ausweg. Im Deutschen Auswandererhaus in Bremerhaven wird seine Geschichte erzählt. Die Geschichte einer Reise nach Amerika.

Ein Mann singt: "Muss i denn, muss i denn zum Städtele hinaus, zum Städtele hinaus." Es ist dunkel, Menschen schauen auf den schwarzen, fünf Meter hohen Bug eines Schiffs. Aus den Bullaugen glimmt fahles Licht. Eine Ratte aus Plastik lauert unter Bretterkisten. Das Auswandererhaus stellt eine Verabschiedungsszene nach: "Und du, mein Schatz, bleibst hier."

"Die Papiergirlande hing von der Reling bis zum Ufer", beschreibt eine Zeitzeugin. "Wenn die Girlande zerriss, dann war die letzte Bindung zur alten Heimat beendet. Das Schiff legte ab auf seinem Weg in die neue Welt."

Die "Bremen" im Deutschen Auswandererhaus schaukelt beträchtlich. Ein historischer Schoner, ein Segelschiff aus Holz ist sie - eigentlich für den Stückguthandel mit der Neuen Welt konzipiert. Zwischen acht und zwölf Wochen lang reisten die Passagiere. So sah Auswanderung um 1850 aus, echte Pionierarbeit.

Georg Unger aus dem Burgenland, damals noch Deutsch-Westungarn, ist an Bord eines neueren Schiffstyps gewesen, wie sich an den Computern im Deutschen Auswandererhaus recherchieren lässt: Die "Rhynland" brachte ihn von Antwerpen nach New York. Sie war schon mit einer Dampfmaschine ausgestattet, was die Überfahrt deutlich verkürzte und komfortabler gestaltete. Auch dieser Typ wird im Auswandererhaus dargestellt: Hier gibt es schon enge Kabinen für vier bis sechs Personen, ein Kübel dient als Toilette.

Kreuz- statt Überfahrt

Neben dem Auswanderermuseum hat das Deutsche Schifffahrtsmuseum einige alte Kähne dieser Zeit im Neuen Hafen vor Anker oder als Objekt im Museum. An der Columbus-Kaje legen heute allerdings Kreuzfahrtschiffe an, sie lösten den Auswandererlinienverkehr ab. In einem Teil des alten Übernachtungs- und Speisehauses für Auswanderer ist heute eine Fachhochschule untergebracht.

Das Auswanderungsgeschäft hatte ein Ablaufdatum und danach auch der groß angelegte Fischhandel. Ein schmerzender Strukturwandel für Bremerhaven: aktuell 20 Prozent Arbeitslosigkeit bei etwa 120.000 Einwohnern. Heute sind Container neben Autos die wichtigsten Güter des Hafens. Dafür gibt es eine eigene Kaje: Etwa 15 Meter hoch, bewegen sich die brückenähnlichen Transporter rasch zwischen den Burgen aus Containern hindurch. Millimeterarbeit. Wenn der Hafenarbeiter mit den vier Nuten auf die Löcher der Container aufsetzt, dann hat er nur sein Guckloch hoch oben zum Zielen.

4,3 Kilometer lang ist die Kaje. Riesige Kräne reihen sich an einem Schienenstrang aneinander. Der Transporter lädt ab, der Kran krallt zu. Immer zwei Container auf einmal muss er nehmen, sonst wäre die riesige Umschlagmenge gar nicht mehr zu bewältigen. Am Kaiserkai wird deshalb gerade der Containerterminal auf insgesamt fünf Kilometer Länge erweitert - Weltrekord.

"Ahoi." Das kleine Kind drückt den Steuerknüppel der Fernbedienung ruckartig nach rechts. Das Modellboot schippert nur langsam durch das Wasserbecken - und stößt fast mit einem anderen Kahn zusammen. Im Deutschen Schifffahrtsmuseum gibt es neben den großen Schiffen auch dieses kleine Modellschiff-Becken, wo sich Hobbykapitäne im Rangieren üben.

Neue Segel gesetzt

Eine beschauliche Attraktion von Bremerhaven - die bombastischen sollen mit der Komplettierung der "Havenwelten" folgen. Ab 2008 kommt ein Hochhaushotel in Form eines Segels hinzu und mit dem "Klimahaus" ein weiteres Museum, das den alten Hafen noch mehr in Richtung touristische Erlebniswelt bringen will.

Georg Unger haben Häfen nicht interessiert, sie waren für ihn nur Durchgangsort. Seine Heimat war damals eine bitterarme Gegend. Kleine Felder, von denen sich die Besitzer nicht mehr ernähren konnten. Überbevölkerung. Georg Unger verlor in dieser Zeit sieben seiner 15 Kinder. In dieser Zeit kamen die Agenten der großen Schifffahrtsgesellschaften bis in die kleinsten Orte des Königreichs Ungarn. Sie verteilten Broschüren und organisierten für Auswanderungswillige die Überfahrt.

"Bei der Familie Unger war es sicher eine Kettenwanderung", beschreibt Katrin Quirin vom Deutschen Auswandererhaus: "Georgs Schwester schrieb Briefe und schilderte ihrem Bruder die Verhältnisse in den USA. Da fiel der Entschluss, in die Neue Welt aufzubrechen, nicht mehr so schwer." 100 Millionen solcher Auswandererbriefe, so schätzen Forscher, informierten die Freunde und Verwandten jahrzehntelang über das Auswanderungsland. Einige Briefe können im Auswandererhaus nachgelesen werden. Viele schilderten die Strapazen auf Ellis Island.

Für die Passagiere der Zwischendecks entschied sich auf dieser "Insel der Tränen" vor New York, wer nach Amerika einwandern durfte. Im Deutschen Auswandererhaus ist auch der Einwanderungstest nachempfunden: "Sind Sie Polygamist? Sind Sie Anarchist? Haben Sie einen Beruf erlernt?" Zwei Minuten Zeit nahmen sich die Beamten im Schnitt für 29 Fragen. Viele Besucher des Museums fallen hier durch. Georg Unger schaffte es: Über ihn ist auf den Passagierlisten als Aufnahmedatum der 7. Juli 1887 vermerkt. In Zeile 66 hat ihn der Einwanderungsbeamte handschriftlich aufgeführt.

Die emotionale Aufbereitung des Themas brachte dem Auswandererhaus heuer den Titel "European Museum of the Year". Eine Auszeichnung, die es sich etwa mit dem Victoria and Albert Museum in London oder dem Guggenheim in Bilbao teilt. (Jörg Stroisch/DER STANDARD/Printausgabe/17./18.11.2007)