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Zumindest an seiner Wahl gibt es nichts zu rütteln: Sofias Bürgermeister Borisow.

Foto: REUTERS/Nikolay Doychinov
Sofia - Knapp einen Monat nach den Kommunalwahlen ist in Bulgarien von einem „dritten Wahlgang“ die Rede. Denn ein Teil der Stimmergebnisse vom 28. Oktober und 4. November landete bei den Staatsanwälten. Wegen Unregelmäßigkeiten beim Wahlgang haben die Verwaltungsgerichtshöfe nicht weniger als 438 Verfahren eingeleitet. Es geht dabei um Agitation am Wahltag, Stimmenkauf, Protokolle mit gefälschten Wahlergebnissen und falsche Wahlzettel.

Der Kampf bei den ersten Kommunalwahlen nach dem EU-Beitritt Bulgariens – so stellt es sich nun im Rückblick dar – war vor allem ein Kampf um die Verteilung der Finanzmittel aus Brüssel. Die relative finanzielle Selbstständigkeit der Kommunen hat das Interesse der lokalen Wirtschaftsbosse geweckt. Mit der Rolle von Hintermännern der Politik wollten sie sich nicht mehr begnügen. Immobilienbesitzer, Werbekaufleute und Großhändler, so die Politologin Rumjana Batschwarowa, möchten selbst in der Politik.

Als Ergebnis verfügt nun zum Beispiel die neugegründete Partei „Leader“ von Hristo Kowatschky, einem Berater und Anteileigner von Energiegesellschaften, über Stadträte in mehreren Großstädten. In der größten bulgarischen Hafenstadt, Varna, kam auch die Partei „Glas“, deren Vorsitzender Plamen Andrejew Geschäftsführer des großen Bauunternehmens Planex Holding ist, mit drei Prozent in den Stadtrat.

Geschäft und Mandat

Die Aussicht war verlockend: EU-Mittel, die für die Kommunen bestimmt sind, könnten von den neugewählten geschäftstreibenden Politikern zu eigenen Zwecken verwendet werden. Im Vorfeld der Wahlen, so der Vorwurf, seien deshalb Meinungsforschungsinstitute gekauft worden. In der Bezirksstadt Vidin, im Norden des Landes, wurden offenbar die Ausweise von 2000 Bürgern gesammelt, um Listen mit Personaldaten zum Zweck der Wahlfälschung zu erstellen. Auslandsbulgaren in der Türkei und Mazedonien wurden mobilisiert und mit „Geschenken“ oder gar unter Zwang zur Stimmabgabe veranlasst.

„Der Stimmenkauf ist besonders in den Gemeinden ausgeprägt, in denen sich ein großes wirtschaftliches Interesse konzentriert“, stellte Premierminister Sergej Stanischew fest. So soll etwa der Bezirksleiter von Pernik, Dimitar Kolew, der auch Sekretär des lokalen Geschäftsvereins und Ehemann der Ex-Abgeordneten Milena Milotinowa ist, Medienberichten zufolge seinen Wählern 170 Euro gezahlt haben. Seine Konkurrenten von den Sozialisten hätten 25 Euro pro Stimme geboten. Nach Angaben des Innenministeriums haben während des ersten Wahlgangs in Pernik, einer Bezirksstadt südwestlich von Sofia, zwei Gruppierungen etwa 15.000 Stimmen für zwei Millionen Euro gekauft.

Auch etablierte Politiker unterstützen solche Praktiken. So erklärte der Chef der Bewegung für Rechte und Freiheiten, Ahmed Dogan, der auch der wichtigste Repräsentant der türkischen Minderheit in Bulgarien ist, nach der zweiten Runde der Kommunalwahlen, der Kauf von Wählerstimmen sei „ein europäisches Phänomen“ und „Teil der europäischen Praxis.“ Dogans Partei gehört der Regierungskoalition an.

Empörung in Bayern

Dogans Äußerung brachte wiederum den neuen bayerischen Staatsminister für Bundes- und Europaangelegenheiten, Markus Söder, auf. Die EU-Kommission solle die jüngsten Wahlen in Bulgarien untersuchen: „Der angebliche Stimmen- und Ämterkauf, um an EU-Gelder zu kommen, ist ein echter Skandal, ein Rückschlag für Europa“, sagte Söder der deutschen Tageszeitung Die Welt. Er befürchte, dass nach diesen Wahlen die Vergabe der Mittel aus dem europäischen Strukturfonds nicht ordnungsgemäß erfolgen werde. Bis zum Vorliegen der Ergebnisse von einer Untersuchung sollten, so Söder, die Mittel aus dem Strukturfonds für Bulgarien gesperrt werden.

Auch der US-Botschafter in Bulgarien trat nun auf den Plan. Es sei „unzulässig, dass in Bulgarien das Ausmaß des Stimmenkaufs so groß ist“, meinte John Beyrle vergangene Woche. (Diljana Lambrewa aus Sofia/DER STANDARD, Printausgabe, 19. November 2007)