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Big Daddy (Wolfgang Michael) im Halbkreis seiner Möchtegern-Erben Richard (Markus Meyer, li.), John (Sven Dolinski, Mi.) und Geoffrey (Philipp Hauß). Das Fest der Liebe.

Foto: APA/Jäger
... einen in mancher Hinsicht folgenlosen Anti-Lear des Broadway-Autors James Goldman. Und lehrt das Publikum der Entspannung süße Schwere.

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Wien - Gilt das Gefühl dem Geld, wird der Mensch zum Hindernis. Zumal jener, der im Besitz steht des libidinös besetzten Zahlenwerts und seines Möglichkeitspotenzials. Der Tod zieht mit raschem Ruck den Schleier der Verstellung von den Überlebenden. Kaum eine Familie, die solche Entblößung unbeschadet erträgt.

Vor allem im Hause König, wo die schiere Größe der Zahl noch das zur Fantasie unbegabteste Gehirn in Schwingung bringt. Nur selten reizt es daher den Herrscher, zu Lebzeiten hinter das Tuch zu blicken. King Lear zahlte den Versuch. Und zog sich in der Heide eine blickdichte Kappe übers ungeschützte Haupt.

Lässiger betrieb Henry II. das Spiel. Drei Söhne - Richard Löwenherz, Gottfried von Bretagne und Johann ohne Land -, eine in Verbannung geschickte Ehefrau, Eleonore von Aquitanien, und die junge Geliebte Alais, Schwester Philipps II. von Frankreich: ausreichend Schachfiguren, die den König umstanden. Die er vor sich her über die Fläche trieb. Wie man weiß, ist allerdings die Königin beweglicher. Nicht sein Favorit John erbt daher den Thron. Sondern Richard, Mutters Liebling.

So geschehen im Jahr 1189. So berichtet in den Chroniken Englands. So variiert vom amerikanischen Broadway-Dramatiker James Goldman als amüsantes Strategiespiel für den Weihnachtsabend. Wem wird Saint Henry die goldene Gabe ins Nest legen? Keinem, denn noch schreiben wir 1183.

Am Ende des dreistündigen Machtgeplänkels mit scheinbar wechselnden Allianzen ist alles wie zuvor. Nur die Zeit des lähmenden Fests (der Liebe) erfolgreich vertrieben. Fortsetzung Ostern. Dann darf Muttern wieder für ein paar Stunden ihr Verlies verlassen. Schließlich: Man ist ja Christ.

Am Broadway soll The Lion in Winter 1965 mit eher mäßigem Erfolg uraufgeführt worden sein. Der kam erst, als Peter O'Toole und Kathrin Hepburn im dreifach Oscar-gekrönten Film von Anthony Harvey 1968 die sprachlichen Klingen kreuzten.

Der Löwe ist König der Wüste. Auf der mit schrittdämpfend hochfloriger Teppichmeterware ausgelegten Burgtheaterbühne gleicht sie einer Hotellounge. Samt Bösendorfer-Flügel, dezent getönter Klangtapete und blau-nächtlichem Schummerlicht.

Man trägt Smoking, bewegt sich in erprobter Lässigkeit und spricht leise und voll Wohlklang. Soft. (Die Schauspieler tragen Microports.)

Dank dieser nervenbesänftigenden Grundtönung hinterlässt die Inszenierung des polnischen Regisseurs Grzegorz Jarzyna ein wohltemperiertes Gefühl der Entspannung im Zuschauer. Ähnlich einem spätnächtlichen dreistündigen Chillout, zurückgelehnt in den weichen Kunstlederpolstern eines solchen Orts. Es schläft sich gut nach einem solchen Abend.

Ein wenig schon währenddessen. Sanft branden die folgenlosen Wortspiele gegen die Ohrmuschel, Wolfgang Michaels grausträhnig gemähnte Salonkatze löwt samtpfotig durch die Halle, nölt, schnurrt und brüllt, dominiert mühelos den Rest der Abendrunde.

Familie Löwe

Ehefrau Eleonor (Sylvie Rohrer) zählt weniger sechzig Jahre als ihre Ringe, Sohn Richard in unerlöster Homosexualität (Markus Meyer) verführt von Philipp (Tomasz Tyndyk), der blasse Geoffrey (Philipp Hauß) und Sexy-Lippe John (Sven Dolinski): Sie alle proben nicht den Königsaufstand, nur Weihnachten bei Big Daddy. Die wunderschöne Katarzyna Warnke (Alais) gibt den Rauschgoldengel. Jarzyna nämlich tilgt das Mittelalter und verwandelt England auch sprachlich in ein Familienimperium, das Königtum in den Vorstandsvorsitz, Eleonors Mitgift Aquitanien in eine Holding.

Warum und wie der Vorstandsvorsitzende seine Ex in die Verbannung schickt, ist eine der daraus folgenden Ungereimtheiten, über die nachzudenken die süße Trägheit für unangebracht erklärt. Treiben lassen, den Schneeflocken auf der Videowand lauschen, entspannen. Später schlafen. Nichts weiter. (Cornelia Niedermeier/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 19. 11. 2007)