Zur Person

Georg Spiel ist Vorstand der Abteilung für Neurologie und Psychiatrie des Kindes- und Jugendalters am Landeskrankenhaus Klagenfurt, Obmann und Geschäftsführer von promente: kinder, jugend, familie, Beirat von Rainman's Home in Wien.

Foto: Medstandard
STANDARD: Wie erkennt man autistische Störungen?

Spiel: Das Erkennen von autistischen Störungen im Kleinkindalter ist eine Herausforderung, da die Symptomatik meist nicht spezifisch ist. Hinweise könnten sein: keine oder selektive Reaktion auf akustische und visuelle Reize, Ausbleiben des sozialen Lächelns nach dem dritten Lebensmonat, des Armausstreckens nach dem sechsten Lebensmonat, des Nachahmens nach dem zehnten Monat. Drehen von Händen und Gegenständen vor den Augen, das nicht nur gelegentlich vorkommt, ungewöhnlich ruhiges Verhalten oder lange unerklärliche Erregungs-, Wein- oder Schreiphasen.

STANDARD: Gibt es spezielle diagnostische Verfahren?

Spiel: Anzeichen können wir in den ersten drei Lebensjahren feststellen. Später hat man spezielle diagnostische Verfahren, etwa die gezielte, entwicklungs- und symptomorientierte Befragung der Eltern und eine strukturierte Beobachtung des Verhaltens des Kindes mit standardisierten Interviewverfahren.

STANDARD: Bestehen Möglichkeiten der Frühförderung, welche Therapien sind die besten?

Spiel: Ich bezweifle, dass es ein 08/15-Programm gibt, das für jeden Patienten mit autistischem Syndrom effektiv ist. Das Wesentliche bei der Therapieplanung ist, dass nach eingehender Verhaltensanalyse die Intervention, gleich, ob eine therapeutische oder pädagogische, auf die individuelle Situation des Kindes zugeschnitten wird. Wir haben das Konzept "Therapie der kleinen Schritte" konzipiert.

STANDARD: Autismus gilt als "unheilbar". Kann man das wirklich so definitiv sagen?

Spiel: Leider muss man das bestätigen. Das heißt aber nicht, dass nicht immer wieder Verbesserungen, manchmal sind es nur kleine, möglich sind.

STANDARD: Woran wird geforscht?

Spiel: Autismus ist eine sehr komplexe Thematik. Ein einfaches Schema, wie etwa die Rückführung der Problematik auf einen einzelnen Gendefekt oder aber auf eine singuläre übergeordnete Störung der Wahrnehmungs- und Handlungsfunktion, gibt es nicht und ist auch nicht erwart- bar. Man geht heute von einer genetischen, hirnorganischen, hirnfunktionellen Störung aus. Neurobiologische Ursachenkomponenten stehen mit neurophysiologischen und neuropsychologischen in Verbindung. Als sicher gilt: Der Autismus ist eine stark genetisch determinierte Erkrankung, jedoch im Sinne einer oligogenetischen Erkrankung, das heißt, dass mehrere Genorte - und eben nicht nur ein Genort - für die Entstehung des Syndroms verantwortlich sind.

STANDARD: Wie wichtig ist das familiäre, gesellschaftliche Umfeld?

Spiel: Zweifelsohne spielen auch soziale und Beziehungsaspekte eine wesentliche Rolle, vor allem kann in ei- ner nicht sensiblen Umwelt die Ausprägung von autistischen Symptomen verstärkt werden. (DER STANDARD, Printausgabe, Jutta Berger)