München/Berlin - Der Ausgang der von einer geringen Beteiligung gekennzeichneten Kosovo-Wahlen ist am Montag Gegenstand internationaler Pressekommentare:

  • "Süddeutsche Zeitung" (München):

    "Wenn Wahlsieger eine blühende Zukunft versprechen, ist stets Vorsicht geboten. Das gilt besonders für Kosovo. Wunder kann in der südserbischen Provinz kein Politiker bewirken. Auch der frühere 'Freiheitskämpfer' Hashim Thaci nicht, der jetzt vollmundig von einem Neuanfang spricht. Zu oft wurden in dem UN-Protektorat die Hoffnungen auf ein besseres Leben enttäuscht und die Menschen mit hohlen Phrasen vertröstet. Deshalb blieb über die Hälfte der Wähler zu Hause. Die seit acht Jahren andauernde Ungewissheit über die Zukunft der Provinz und die Herrschaft einer korrupten kosovo-albanischen Pseudoelite haben die Bevölkerung gelähmt.

    Dass die Paten der Demokratie - UN, NATO und EU - die Missstände weitgehend tolerieren, um die politische Stabilität nicht zu gefährden, macht die Krise nur noch schlimmer. Dennoch besteht eine leise Hoffnung, dass Thaci aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt hat. Eine Wende zum Besseren kann Thaci aber nur erreichen, wenn die Europäische Union eine schnelle Lösung der Statusfrage durchsetzt und danach mit ihrer geplanten Mission die Kontrolle über die Provinz übernimmt."

  • "Der Tagesspiegel" (Berlin):

    "Die Wahl war nur das Vorspiel. Dass sie ohne Zwischenfälle ablief, hat weder in Washington oder Berlin noch im Kosovo jemanden aufatmen lassen. Der Stichtag für die Zukunft des Kosovo ist der 10. Dezember - wenn die von der sogenannten Kosovo-Troika geführten Verhandlungen zwischen Belgrad und Pristina enden. Hoffnung auf eine Einigung gibt es praktisch nicht mehr. (...) Die fragile Machtbalance zwischen Washington und Russland, von der die Lösung wichtiger internationaler Konflikte abhängt, geriete (bei einer einseitigen Unabhängigkeitserklärung, Anm.) in Gefahr.

    Russland steht an der Seite Serbiens und hat sich klar gegen eine Abspaltung des Kosovo ausgesprochen. George W. Bush hingegen hatte den Kosovaren noch im Sommer faktisch zugesagt, die Unabhängigkeit anzuerkennen. Er riskiert damit indes, dass sich Russland im Atomstreit mit dem Iran quer stellt. Einen solch hohen Preis will Washington nicht zahlen. Daher versucht die US-Regierung seit Wochen, ihren Einfluss in Pristina geltend zu machen.

    Die Kosovaren sollen die Unabhängigkeit zurückstellen und zunächst eine maximale Autonomie erhalten. (...) Die meisten EU-Staaten, auch Deutschland, könnten angesichts der jüngeren Vergangenheit auf dem Balkan kaum umhin, ein unabhängiges Kosovo anzuerkennen. Doch einige Mitglieder haben selbst ein Minderheitenproblem und werden nicht mitziehen. Das Völkerrecht, das hat Belgrad auf seiner Seite. Ein solcher Präzedenzfall gefährdet die Glaubwürdigkeit Europas."

  • "Handelsblatt" (Düsseldorf):

    "Ausgerechnet Hashim Thaci ist es also, der im Dezember die Unabhängigkeit des Kosovo ausrufen wird. Das enthält eine gehörige Portion historischer Ironie, denn Thaci ist nicht nur der neue starke Mann der (noch-)serbischen Provinz. Er war als Anführer der UCK-Guerilla auch der Gegenspieler des jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic. Und schließlich hat Thaci sowohl Geschichte wie Völkerrecht studiert, weiß also sehr wohl, welche Sprengkraft eine einseitige Unabhängigkeitserklärung hat.

    Dennoch führt daran kein Weg mehr vorbei. Und wahrscheinlich ist die Zeit dafür jetzt einfach reif. Formal gilt es, noch den 10. Dezember abzuwarten, wenn die Frist der internationalen Vermittler für eine einvernehmliche Lösung ausläuft. Seit zwei Jahren versuchen EU, USA und Russland eine Formel zu finden, mit der sowohl Albaner wie Serben, der Westen und Russland leben könnten - ein aussichtsloses Unterfangen."

  • "Stuttgarter Zeitung":

    "Die UN-Verwaltung hat sich als kostspieliges und ineffektives Provisorium erwiesen, in das Milliarden flossen, ohne sichtbaren Nutzen. Vom Profit der hoch bezahlten UN-Emissäre einmal abgesehen. Die Wirtschaft hat keinen Schritt nach vorne gemacht, Investoren schlagen um das merkwürdige Konstrukt einen weiten Bogen, weil ihnen die ungelöste Statusfrage keine Planungssicherheit gibt.

    Belgrad wiederum instrumentalisiert die Kosovo-Serben im Kampf um längst verlorenes Territorium, die Politikerkaste der Kosovo-Albaner füllt sich die Taschen, während Armut und Arbeitslosigkeit den Alltag ihrer Landsleute bestimmen. Die näher rückende, vom Westen unterstützte Unabhängigkeit wird diese Probleme nicht über Nacht lösen. Aber zumindest können sich Thaci & Co., wenn sie denn kommt, nicht mehr hinter der Ausrede verstecken, alles Übel hänge mit der fehlenden Souveränität zusammen."

  • "Hannoversche Allgemeine Zeitung":

    "Der Wahlausgang im Kosovo lässt keine Zweifel übrig. Mit dem früheren Rebellenchef Thaci als Premier dürfte die von Serbien wegstrebende Provinz noch entschiedener auf die Verwirklichung der vom Westen mehrmals zugesicherten Eigenstaatlichkeit drängen. Doch die niedrige Wahlbeteiligung sollte dem neuen starken Mann in Pristina eine Warnung sein: Mit vollmundigen Versprechungen und der Verheißung der immer wieder neu in Aussicht gestellten Unabhängigkeit lassen sich seine politikmüden Landsleute kaum mehr abspeisen. Acht Jahre sind seit dem Kosovo-Krieg vergangen. Doch ob Kosovo-Albaner oder Serben: Von der Hoffnung auf bessere Zeiten wollen und können die Bewohner der zerrissenen Provinz nicht länger leben."

  • "The Guardian" (London):

    "Europäische Regierungen könnten, selbst wenn sie es wollten, nicht mehr länger wegschauen, wenn es um Kosovo geht. Das Ergebnis der Wahlen in der hauptsächlich von Albanern bewohnten Provinz Serbiens deutet ganz klar in Richtung einer baldigen Deklaration der Unabhängigkeit. So eine Entwicklung ist seit vielen Monaten erwartet worden. Das macht es jedoch nicht einfacher, die Konsequenzen daraus zu bewältigen. Die Perspektive für Kosovo und den Balkan sieht jetzt gefährlicher und unsicherer aus als vor zehn Jahren."

  • "Basler Zeitung":

    "Die Abspaltung Kosovos wird für Serbien auf Jahre hinaus der Stachel im Fleisch sein, der das nationalistische Fieber immer wieder ausbrechen lässt. Für Pristina wird die Sezession Nord-Kosovos zum Hauptthema, das vom Reformbedarf im Innern ablenkt. (...) Die Wahl von Thaci, dem Ex-Guerillaführer, gäbe dem Westen die Chance, in letzter Minute einen Formelkompromiss durchzusetzen, der Kosovos legitimes Selbstbestimmungsrecht mit einer inhaltlich und zeitlich begrenzten Garantie von Serbiens territorialer Integrität verbände. Die Vorzüge einer auch nur oberflächlich konsensuellen Lösung für die Entwicklung der Region sind immens. Dies für Kosovo akzeptabel zu machen kann nur eine starke Figur wie Thaci, dessen Reputation als Freiheitskämpfer unangefochten ist."

  • "Tages-Anzeiger" (Zürich):

    "Es besteht eine leise Hoffnung, dass Thaci vor allem aus den Fehlern seiner politischen Gegner gelernt hat. Zeit dazu hatte er genug. Er wurde für das selbstherrliche Auftreten einiger Ex-Rebellen, die nach dem Kosovo-Krieg Geschäfte plünderten und Jagd auf Serben machten, mehrmals an der Urne bestraft. Zu Recht. Jetzt könnte sein Traum, erster Ministerpräsident eines unabhängigen Kosovo zu werden, in Erfüllung gehen. Eine Wende zum Besseren kann der ehemalige Zürcher Student aber nur erreichen, wenn die EU eine schnelle Lösung der Statusfrage durchsetzt."

  • "Neues Deutschland" (Berlin):

    "Hashim Thaci wurde 1997 von einem serbischen Gericht wegen Terrorismus und Mordbeteiligung zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt. Vier Jahre zuvor hatte er zu den Gründern der 'Befreiungsarmee' UCK gehört, die damals auch im Westen noch als terroristische Vereinigung galt. Derselbe Thaci will Kosovo nun als Regierungschef in die Unabhängigkeit führen. 'Wir vertrauen dem Westen', verkündete er nach seinem Wahlsieg. Das Vertrauen ist nicht unbegründet. Nachdem die NATO 1999 im Krieg gegen Jugoslawien faktisch als Luftwaffe der UCK agiert hatte, unternahmen die westlichen Übergangsverwalter Kosovos in den vergangenen acht Jahren nichts, was die Sezessionsbestrebungen der Kosovo-Albaner hätte bremsen können.

    Und dies entgegen der UNO-Sicherheitsrats-Resolution 1244, die Serbiens territoriale Souveränität bekräftigte, und entgegen dem Völkerrecht, das eine Abspaltung nur zuließe, wenn Kosovo berechtigte Autonomieforderungen verweigert würden. Das ist aber nicht der Fall: Belgrad ist zu weitestgehenden Zugeständnissen bereit. Thacis westliche 'Vertraute' suchen noch nach einer Finte, den Völkerrechtsbruch zu verschleiern. Notfalls werden sie sich auf die 'normative Kraft des Faktischen' berufen und eine einseitige Unabhängigkeitserklärung anerkennen - ungeachtet gefährlicher Konsequenzen für offene und schwelende Konflikte auf dem Balkan wie in anderen Regionen."

  • (APA/dpa)