Die elektrischen Leitungen verlaufen in Wien unter den Gehsteigen, Gas und Wasser wird in der Straßenmitte geführt.

Foto: Christian Fischer
Dunkelheit, Feuchtigkeit und eine konstante Temperatur von etwa 20 Grad Celsius übers ganze Jahr. Das unterirdische Wien besteht nicht nur aus U-Bahn-Schächten, sondern offenbart weitaus verzweigtere und verwinkeltere Welten fernab von Frischluft und Sonnenlicht. Das mit Abstand größte Netz an unterirdischen Gängen bilden die Sammelkanäle, die unter den Straßen der Bundeshauptstadt verlaufen. Etwa 2300 Kilometer Kanalnetz sorgen in Wien für den nötigen Transport des Abwassers. Die meisten dieser Kanäle liegen in Tiefen zwischen zwei und sieben Metern, manchmal verlaufen die Leitungen auch in extremen Tieflagen. Mit 17 Metern unter Tag verläuft einer der tiefsten Kanäle Wiens direkt unter dem Zentralfriedhof.

Rattenfrei

"In einem gut gepflegten und gewarteten Kanal, der von ausreichend Wasser durchflossen wird, sind kaum Ratten anzutreffen", erklärt Josef Gottwall, Pressesprecher der Magistratsabteilung 30 (Kanal), "die Lebensbedingungen da unten sind nämlich alles andere als wirtlich." Das wissen auch die Facharbeiter, die täglich mit Stirnlampe, Gummistiefeln und Schaufeln die Kanäle durchwandern. Jeden Tag befinden sich über 370 Menschen unter Wiens Straßen und durchforsten die 105 Zentimeter hohen Kanalquerschnitte nach baulichen Mängeln und groben Verunreinigungen.

Dass in den Wiener Kanälen derart vorsintflutliche Bedingungen herrschen, liege in erster Linie daran, dass es bis heute keine Maschinen gibt, die die menschliche Arbeit ersetzen können. Dennoch verfügt Wien über eines der modernsten Kanalsysteme der Welt. Im Laufe der letzten Jahre wurde in Tiefen von zehn bis 25 Metern unter dem Wienfluss ein Entlastungskanal gebaut. War es bis dato gang und gäbe, dass im Falle von Hochwasser die Fäkalien aus dem überstrapazierten Kanalnetz direkt in den Wienfluss, in den Donaukanal und in die Donau überlaufen, übernimmt diese Aufgabe nun die zusätzliche Notröhre. Die Donau wird in Wien nicht mehr belastet.

Novum Fernkälte

Jüngstes Novum unter der Oberfläche ist die Fernkälte, ein Projekt der Fernwärme Wien. Statt 150 Grad heißes Wasser, das im Winter durch die Stadt gepresst wird und für warme Wohnungen sorgt, pumpt man im Sommer gekühltes Wasser durch die Fernleitungen. Die Temperatur liegt knapp über dem Gefrierpunkt. Das Vorzeigeprojekt befindet sich gerade in Entwicklung und soll demnächst realisiert werden: Eine Fernkälteleitung von der Müllverbrennungsanlage Spittelau zum AKH. Eine Abzweigung wird zum neuen Bürokomplex Skyline an der Heiligenstädter Straße führen. Noch sind einige technische Details nicht geklärt. Ruth Strobl von der Fernwärme Wien: "Wir sind am Start, die ersten beiden Projekte kommen demnächst." (woj/DER STANDARD – Printausgabe, 20.11.2007)