Ein trauriges Wildtier auf der Terrasse einer Stadtwohnung war nicht nur für die Besitzerin eine Herausforderung. Wiens Tierschutz-Institutionen kapitulierten bedingungslos.

Foto: privat
Am Morgen des 13. November, als sich die Sonne redlich bemühte, fünf Strahlen gerecht auf den Westen Wiens zu verteilen, schmiegte sich ein Fuchs an die Terrassentür der Penzinger Wohnung von Sabine Brauner. Ja, ein echter Fuchs. Er war offenkundig wärmehungrig, wirkte müde und sah traurig drein. Vielleicht war er krank. Sabine wollte ihm helfen. Zumindest wollte sie wissen, was mit ihm zu unternehmen sei.

Der erste Anruf erwischte die Tierschutzhotline der Stadt Wien. Dort bedauerte man: Eine Gesundheitsversorgung für Wildtiere sei in Wien nicht vorgesehen. Tollwütig könne das Tier nicht sein, denn in Wien gebe es keine Tollwut. Heißer Tipp des Hotliners: "In die Hände klatschen, dann verschwindet er." Sabine klatschte in die Hände. Der Fuchs hinter dem Glas warf ihr einen melancholischen Blick zu und blieb liegen. – "Rufen Sie uns bitte wieder an, wenn das Tier verendet ist", empfahl der telefonische Tierschützer: Man werde dann den Kadaver abholen.

Sabine hatte nicht die Muße, so lange zu warten. Sie rief beim Tierschutzhaus und bei der Tierrettung an: einer nicht zuständiger als der andere. Man dürfe nur wegen in Not geratener Haustiere ausrücken, hieß es, nicht wegen depressiver Wildtiere. Heißer Tipp: "Versuchen Sie's bei der Forstverwaltung."

Leider, leider...

Anruf bei der Forstverwaltung. Leider, leider: Man könne aus rechtlichen Gründen nichts tun, der Umgang mit Wildtieren in Wien sei eine "Grauzone", grauer als der November. Sabine Brauner war nun bereit, eine medizinische Untersuchung des Fuchses selbst zu bezahlen. Drei Tierärzte mussten allerdings passen: Sie verfügten nicht über die notwendige Wildtierausrüstung. Ein vierter Kollege hätte eine solche. Aber leider: Er lag mit Bänderriss im Spital. Heißer Tipp der Tierklinik: "Das Veterinäramt kann Ihnen helfen." Theoretisch, täglich von acht bis neun Uhr früh. Praktisch war leider bereits Vormittag. Heißer Tipp: "Die Wildtierforscher haben sicher eine Idee." – Tatsächlich, ein Forscher zeigte sich interessiert, doch leider musste er gerade einen Dachs einfangen. Aber am nächsten Tag gegen 15 Uhr könne er vorbeischauen. So lange mochte Sabine den Fuchs nicht angelehnt lassen, nicht an ihrer Tür.

Heißer Tipp eines Jägers: "Das ist ein Fall für die Polizei." Bald standen zwei Uniformierte vor der Terrasse, stellten die Identität eines Fuchses fest, nahmen keine Personalien auf, benutzten ihre Handys, versprachen, es werde sich jemand bei Frau Brauner melden, und gingen. Schließlich rief, quasi außerdienstlich, ein Mann aus dem Veterinäramt an: Wo sei das Problem? Der Fuchs führe offenbar nichts Böses im Schilde. Einfangen dürfe man ihn ohnehin nicht. "Also lassen Sie ihn einfach liegen." Es sei keineswegs gesagt, dass das Tier krank sein müsse. "Füchse suchen vermehrt die Nähe zu den Wienern." (Wenigstens irgendwer.) Gut, gut, Sabine Brauners Ideenreichtum war erschöpft. Sie stellte sich auf ein Leben mit geschlossener Terrassentür und einem antriebslosen Fuchs dahinter ein.

Als sie es nicht mehr für möglich hielt, rappelte sich das Tier auf, schlich zum Gartenzaun, kroch durch und schleppte sich zum benachbarten Gemeindebau. Es war Mittag. Und es roch nach später Martinigans. (Daniel Glattauer/DER STANDARD – Printausgabe, 20.11.2007)