Man hat Euch (und uns) in eine vertrackte Lage gebracht: anstatt miteinander Euren "großen Tag" einer Pensionsanpassung 20% über dem Gesetz zu feiern, seid Ihr unverschuldet Neid ausgesetzt. Euer Recht auf Wertsicherung wird gut gemeintem, aber würdelosem Gnadenbrot geopfert.

Engherzige Buchhalterseelen rechnen Euch unverständliche Vorteile vor. Gönnerhafte Neider aller Lager benutzen Euch als Vorwand einer Forderungslawine für alles was unbezahlbar gut ist. Eure Funktionäre erwarten zwei Millionen mal Freude und Wahl-Wohlwollen und verstehen gar nicht, wie viele von Euch 21 oder 36 Euro ganz undankbar selbstverständlich nehmen oder gar unzufrieden bleiben; und wie viele Berufstätige sich belastet fühlen weil sie die Versprechen an Euch ja einlösen müssen.

Jüngere verunsichert nicht Neid auf Euren bescheidenen Wohlstand, sondern nicht zu wissen, wie sie die unbestimmt drückende Schuldenlast je abtragen können. Denn dass Versprochenes erst erarbeitet werden muss und nicht als Mana vom Himmel fällt "was sich der Staat leisten will" verstehen alle (außer einzelne Berufsjugendseniorinnen).

Man hat zu künftig jährlichen "Verhandlungen" darüber eingeladen, um wie viel es jeweils mehr sein darf als das Gesetz vorsieht. Eine ungute Falle für Euch: gibt man Euch nach Art von Gutsherren oder Duodezfürsten reichlich mehr als anderen, so maulen die frühen Arbeiter im biblischen Weinberg gegen Euch; gibt man Euch bloß, was des Gesetzes ist, so nimmt man Euch angeblich "was weg". Hochgezüchtete Erwartungen: Was wäre beleidigender als ein Gastgeber, der nicht bewirtet – wozu hat er dann überhaupt eingeladen? Ihr könnt also sicher sein, dass des Bundeskanzlers unfrommer Vorsatz, dies sei "kein Präzedenzfall" für kommende Jahre Eure "Bitten, nicht Forderungen" nicht überlebt. Wer könnte eine bescheidene Bitte abschlagen hinter der eine halbe Million Unmutsunterschriften drohen?

Wir haben ein soziales Umlagesystem, und das ist gut so. Doch im Generationenvertrag kann keine mehr Solidarität als alle anderen erwarten. Und niemand kann mehr Pensionen versprechen, als durch Beiträge gedeckt sind – außer zu Lasten künftiger Generationen.

Mathematik kann nicht Politik ersetzen; aber Politik kann weder die Schwerkraft, noch die Versicherungsmathematik außer Kraft setzen. Gesetze dagegen schon. Das Problem undemokratischer, vormoderner Systeme à la fait du prince: Willkür statt Gesetz, Ermessen statt Regeln, Gnade statt Recht. Keine Pensionsverfassung, keine –automatik. Blindflug ohne Kompass und Autopilot. Politik ohne Mathematik.

Im Rechtsstaat sind Gesetze einzuhalten, wenn sie Recht sind und Unrecht darf nie Gesetz sein – oder bleiben. Doch statt ein Gesetz zu ändern, wenn es Euch benachteiligt, oder zu respektieren, wenn es Eure Rechte wahrt, macht man Gesetze, die für kaum einen von Euch gelten: wie soll ständige Gesetzesbeugung Vertrauen schaffen? Und Gnade statt Recht Würde wahren statt politische Bettelei oder Erpressung bemänteln?

Hätte die politische Klasse Euch die Zulage zum Gesetz aus der (ungefähr gleich schweren) Extrakasse ihrer Privilegien spendiert, welch Jubel hätte sie verdient. Doch eine Dauerzeche auf Kosten abwesender und bereits hochverschuldeter Zahler zu spendieren und deren, Euer, unser aller Unbehagen darüber als "schäbig" abzutun erinnert an jene, die Ingmar Bergmann und Astrid Lindgren diffamierten weil sie nicht 102% Einkommenssteuer zahlen wollten. Wir kennen das Ende der Geschichte ... (Bernd Marin, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 21. November 2007)