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Berlin - Teils vernichtende Urteile fällt eine Studie über die Rolle einiger DDR-Ärzte als Stasi-Spitzel. Die Untersuchung wurde dieser Tage von der deutschen Ärzteschaft vorgestellt. Der Präsident der Bundesärztekammer, Jörg-Dietrich Hoppe, nannte es bei der Vorstellung der Studie in Berlin "absolut unethisch und durch nichts zu rechtfertigen", dass IM-Ärzte (IM = inoffizieller Mitarbeiter der Stasi) systematisch das Patientengeheimnis verletzt hätten.

Zwar habe eine übergroße Mehrheit der DDR-Ärzte weder ein Parteibuch gehabt noch sich auf Spitzeltätigkeit eingelassen. Auch habe die große Mehrheit den Hippokratischen Eid und damit auch die Schweigepflicht beachtet, drei bis fünf Prozent jedoch nicht.

"Ohne langes Zögern"

Die Studie kommt zudem zu der Erkenntnis, dass Ärzte, die sich der Zusammenarbeit mit der Stasi verweigerten oder diese torpedierten, keine feststellbaren Nachteile erlitten hätten. Bedrückend sei, dass die große Mehrheit derjenigen, die zu Bespitzelungen bereit gewesen seien, "ohne langes Zögern" mit dem Ministerium für Staatssicherheit (MfS) zusammengearbeitet hätten.

Die Durchdringung der Gesellschaft über die Ärzte war für das MfS offenkundig vorteilhaft. Keine andere Berufsgruppe habe einen solch intensiven Zugang zum Privatleben von Patienten gehabt, hieß es. Hinzu kam, dass dass unter den Patienten auch Funktionäre, Leistungssportler, Soldaten, Polizisten, Angehörige des Strafvollzugs, Gefangene - und andere Ärzte gehörten.

Nach dem Mauerfall habe die große Mehrheit der DDR-Ärzte außerhalb des öffentlichen Dienstes unbehelligt weiterpraktizieren können. Hoppe forderte diejenigen Ärzte, die Patienten und Kollegen denunziert hätten, sich zu offenbaren und ihre Schuld einzugestehen. "Ein Wort der Entschuldigung ist das Mindeste, was die Opfer der Bespitzelung erwarten dürfen," sagte der Ärztepräsident.

Kollegen-Bespitzelung

Eine überwältigende Mehrheit von 89 Prozent der IM-Ärzte wurde laut Studien zur Bespitzelung der Kollegen eingesetzt. Der bildungsbürgerlich geprägte Berufsstand habe dem Regime wegen seiner Kritik als suspekt gegolten. Außerdem sei die Flucht- und Ausreisewilligkeit von Ärzten besonders hoch gewesen. Der Anteil der Ärzte, die auch Patientenunterlagen verraten hätten, sei bei 28 Prozent gelegen.

Als "am widerlichsten" stufte die Autorin der Studie, Francesca Weil, eine Dermatologin mit dem Decknamen "Irina" ein, die über Jahre hinweg auf insgesamt 470 Seiten detaillierte und teils brisante Angaben zu mehr als 1.000 Patienten gemacht habe, von denen eine Anzahl vom MfS als "operativ relevante Personen" eingestuft worden seien. Sie habe jeden Monat 200 Mark extra kassiert.

Nur Decknamen

Die über drei Jahre geführte Studie nennt keine Klarnamen und überlässt es den per Decknamen genannten Ärzten, sich zu bekennen. Der Autorin zufolge bedarf die Frage, was mit den Spitzelopfern geschah, noch der systematischen Aufarbeitung. Die Studie wurde laut Hoppe vom Deutschen Ärzte-Verlag und vom Deutschen Ärzteblatt unterstützt. Ihr liege ein seit 2003 laufendes Forschungsprojekt beim Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung in Dresden zu Grunde. (APA/red)