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Die Eisenbahner waren die ersten, die ihrer Forderung nach mehr Lohn durch Streik Nachdruck verliehen. Am Dienstag haben auch Millionen Staatsbeamte ihre Arbeit niedergelegt und sind auf die Straße gegangen.

Foto: AP/Remy Gabalda
Paris - Zehntausende von Staatsbeamten säumten gestern die großen Boulevards in Paris und vieler Provinzstädte: Postler und Lehrer, Krankenschwestern und Elektriker, Forscher und Meteorologen, Polizisten und Fluglotsen gingen auf die Straße, um mehr Lohn zu fordern. Außerdem protestierten sie gegen den geplanten Abbau von 23.000 Beamtenposten. Der eintägige Ausstand gesellte sich zum Eisenbahnerstreik, der seit einer Woche den Verkehr in Frankreich stark behindert. Das Land war zwar nicht völlig lahmgelegt, doch verkehrten nur wenig Züge und Busse. An den Einfallachsen der Städte bildeten sich schon früh am Morgen erneut Monsterstaus.

Die meisten Demonstranten nahmen direkt den Staatspräsidenten ins Visier. „Sarkozy 200 Prozent Erhöhung – Altersminimum 1,1 Prozent Erhöhung“, hieß es auf einem Spruchband gegen seine jüngste Salär-Aufstockung. Sarkozy hatte den Wahlkampf vor allem mit dem Slogan „Mehr arbeiten, um mehr zu verdienen“ gewonnen. Der versprochene Kaufkraftgewinn lässt aber auf sich warten. Deshalb erkennen sich laut Umfragen 53 Prozent der Franzosen in den Lohnanliegen der Beamten und drücken ihnen ihre Sympathie aus.

Kaufkraft stärken

Sarkozy bereitet deshalb Maßnahmen vor, welche die Kaufkraft der Bevölkerung stärken sollen. Eventuell will er den 13. Monatslohn von Unternehmensabgaben oder von der Einkommenssteuer befreien. Diese Beschlüsse will er bekannt geben, sobald der Eisenbahnstreik beendet ist. Dieser ist im Unterschied zu den Lohnanliegen der Beamten sehr unpopulär. Die Eisenbahner beharren auf Pensionsprivilegien, die nach Meinung der meisten Franzosen nicht mehr zeitgemäß sind. Vor allem Vorstadt-Pendler leiden stark unter den Verkehrsblockaden. Auf den überfüllten Wartequais der Pariser Bahnhöfe versuchen mittlerweile 800 Polizisten, entnervte Passagiere zu beruhigen und Keilereien beim Einsteigen zu verhindern. Bisher kam es zu vierzig Unfällen, doppelt so viel wie in „normalen“ Zeiten. Sarkozy ergriff gestern erstmals seit Streikbeginn direkt das Wort. Er rief die Eisenbahner auf, an die Arbeit zurückzukehren. „Man muss wissen, einen Streik zu beenden“, meinte er in betont festem Ton und bekräftigte, er halte an seiner Reform der Eisenbahner-Pensionen fest. Diese werden an diejenigen der Beamten angeglichen und erfordern nicht mehr nur 37,5, sondern 40 Beitragsjahre.

Heute, Mittwoch, beginnen in Paris Verhandlungen zwischen den Gewerkschaftern, der Regierung und der Staatsbahn SNCF. Der Ausgang ist allerdings sehr ungewiss, obwohl die SNCF 100 Mio. Euro als Kompensation einschießen will. Die Gewerkschaften sind zwar kompromissbereit, doch die Basis blieb bisher so hart wie Sarkozy. Die Entscheidung wird wohl an der Medienfront fallen – je nachdem, ob die Franzosen eher den Streikenden oder Sarkozy Schuld an der zunehmend unerträgliche Lage geben. (Stefan Brändle aus Paris, DER STANDARD Printausgabe 21.11.2007)