Mit der "Macht" spielen: Testpersonen sollten mit Plastilin die Fernbedienung der Zukunft formen.

Foto: DER STANDARD/Cuhaj
Man stelle sich vor: Eines Morgens läutet es an der Tür. Ein Wissenschafter steht draußen. "Guten Tag, ich ziehe für vier Wochen bei Ihnen ein." Nein, er sucht keinen Familienanschluss. Er will nur das Verhalten und den Umgang des Wohnungsbesitzers mit Haushaltstechnologien und Home-Entertainment aller Art beobachten. Und zwar nicht nur ein, zwei Stunden lang, denn in einer so kurzen Zeit verhält man sich als Testperson untypisch. Er will durch Langzeitbeobachtung erkennen, welche Bedürfnisse bestehen, wo man vielleicht noch mit technischen Neuentwicklungen ansetzen könnte.

So oder ähnlich müsste eine ethnografische Untersuchung in der Human-Computer-Interaction-Forschung (HCI) beginnen - vorausgesetzt, man übernimmt die Methodik ganz ohne Anpassung aus den Wissenschaften Ethnologie und Anthropologie. Was man natürlich niemals macht - selbst in den Anfängen der Ethnografie im Umfeld von HCI, den 1970er-Jahren, nicht.

Im Alltag der westlichen Welt funktioniert die Integration des Beobachters in die Gemeinschaft im Regelfall nicht ganz so unbeschwert wie in fremden Kulturen, die noch etwas ungezwungener mit Fragen der Privatsphäre umgehen. Selbst Menschen mit Gästezimmer hätten wohl wenig Freude am mehrwöchigen Besuch eines Forschers, sagt Manfred Tscheligi, Professor für Human Computer Interaction und Usability am ICT&S Center der Uni Salzburg.

Deswegen hat man Methoden entwickelt, um als Wissenschafter dabei zu sein, ohne physisch dabei sein zu müssen. In früheren, noch nicht ganz so technologiebestimmten Jahren wurden die Testpersonen gebeten, Tagebücher zu führen. Das Forschungsobjekt war bisher meistens das Büro.

Benutzungskulturen

Heute sind die "Cultural Probes" spielerischer. Man gibt den Testpersonen zum Beispiel ein Quiz mit, dessen Antworten für die ethnografische Studie relevant sind. Man schickt ihnen SMS mit der Frage: "Wie fühlen Sie sich gerade?" Oder man gibt ihnen Videokameras oder eine von Microsoft entwickelte "Sense Cam" mit, die auf Wärme und Bewegung reagiert und in diesem Fall alle dreißig Sekunden aufnimmt, was vorgeht.

Zwei solcher Kameras setzt das ICT&S Center ein, um aufzuspüren, wo Innovationen möglich sein könnten, indem es "Benutzungskulturen" (Tscheligi) beobachtet.

Viel tut sich hierzulande in dieser "Technologievorfeldforschung" noch nicht. Zuletzt haben die Salzburger Wissenschafter neben einem Projekt für Siemens Deutschland auch zwei Studien zum interaktiven Fernsehen mit ethnografischen Methoden durchgeführt: ITV@home und ITV4ALL. Dabei wurde unter anderem klar, dass viele ältere Menschen mehrere Fernsehgeräte in mehreren Räumen stehen haben. Warum? "Um sich nicht allein fühlen zu müssen."

Spielerischer Zugang

Aus dieser Erkenntnis könnte man im Rahmen des interaktiven Fernsehens neue Kontaktmöglichkeiten über TV schaffen, sagt Tscheligi. Sozusagen Anwendungen zum sozialen Miteinander über Entfernungen. Technisch sei schon vieles umsetzbar.

Im zweiten, mit dem Unternehmen Ruwido (Entwickler von Steuerungen und Fernbedienungen) durchgeführten Projekt wurden die spielerischen Elemente erweitert. Zum Beispiel durch Quiz- fragen, aber auch durch schlichtes Plastilin, mit dessen Hilfe die Studienteilnehmer ihre ganz persönliche Idee für die Zukunft des interaktiven Fernsehens nachbauen konnten.

Dabei wurde deutlich, dass sich viele TV-Zuschauer eine ganz persönliche Fernbedienung wünschen, vor deren Benutzung man sich eventuell mit Fingerprint einloggt. Mit ihr könnte man Einstellungen speichern und jederzeit abrufen - Lautstärke, Helligkeitsstufe und vielleicht sogar ganz bestimmte Lieblingsprogramme. Die ganz persönliche "Macht" sozusagen. (Peter Illetschko/DER STANDARD, Printausgabe, 21. November 2007)