Wiens Erzbischof Christoph Kardinal Schönborn rechnet mit einem baldigen positiven Bericht der EU-Weisen und einem Ende der Sanktionen. Doch Österreich werde weiter seine geschichtliche Last zu tragen haben - und dies gelte auch für die Kirche, sagt Schönborn im Gespräch mit Peter Mayr . STANDARD: Die so genannten drei Weisen haben sich auch mit Vertretern der österreichischen Bischofskonferenz getroffen. Wie beurteilen Sie die EU-Sanktionen? Schönborn : Ich stelle beispielsweise bei meinen jüngsten Gesprächen in Frankreich fest, dass die Sanktionen weitgehend auf Unverständnis stoßen und dass sich eine Einseitigkeit in der Medienberichterstattung herausgebildet hat, die der Korrektur bedurfte. Und diese hat bereits teilweise stattgefunden. Und in kirchlichen Kreisen in Frankreich habe ich erfahren, dass kein Bedarf für eine politische Auseinandersetzung auf diese Weise besteht. Trotzdem habe ich den Eindruck, dass man auf Österreich mit großer Aufmerksamkeit schaut und dass es einen Punkt gibt, den wir in Österreich nicht übersehen dürfen: Wir haben eine geschichtliche Last zu tragen, und wir haben zu dieser Last zu stehen. Wir dürfen nicht verwundert sein, dass wir aus diesem Blickwinkel der Geschichte gesehen werden. Das müssen wir einfach akzeptieren, das gehört zu unserer Geschichte. STANDARD: Welchen Eindruck hatten Sie vom Besuch der drei Weisen? Schönborn : Die drei Weisen haben sehr gut gearbeitet. Ich hoffe, dass dieses Kapitel bald geschlossen werden kann. STANDARD: Was halten Sie von der angedrohten EU-Volksbefragung? Schönborn : Ich hoffe, dass Österreich nicht zu anderen Formen glaubt greifen zu müssen, die hier eine Beschleunigung bringen sollen. STANDARD: . . . die Volksbefragung ist also überflüssig? Schönborn : Ich halte es für sinnvoll, darauf zu vertrauen, dass die Arbeit des Weisenrats zu einer baldigen Klärung führt und dass man daher keiner anderen Mittel bedarf. Man soll die Arbeit der Weisen nicht durch andere Maßnahmen gefährden. STANDARD: Sie haben von der Last der Geschichte gesprochen. Auch die österreichische Kirche ist nun mit der Zwangsarbeiterfrage konfrontiert. Welche Art von Entschädigungslösung können Sie sich vorstellen? Schönborn : Man muss die einzelnen Situationen prüfen. Es sind die Daten zu erheben, und dementsprechend müssen dann auch die Entscheidungen getroffen werden. Wir wissen, dass die ganz große Mehrheit der Stifte im Nationalsozialismus enteignet war, aber wir wissen bisher noch sehr wenig über die Situation der Pfarren, insoferne diese Pfründe oder landwirtschaftliche Betriebe hatten. Dazu habe ich die Historiker Erika Weinzierl und Maximilian Liebmann gebeten, auch wenn nötig unter Heranziehung von anderen Experten, die notwendigen Forschungen vorzunehmen. Diese werden ohne Scheuklappen durchgeführt, und wir werden uns nach dem Resultat der Untersuchungen richten. STANDARD: Wird es bei der Bischofskonferenz im Herbst eine Entscheidung geben? Schönborn : Ich kann den beiden Historikern nicht die Geschwindigkeit vorgeben, ebenso kann ich auch nicht sagen, wie die Archivlage ist. STANDARD: Aber Sie können sich durchaus eine Beteiligung am Versöhnungsfonds für ehemalige Zwangsarbeiter vorstellen? Schönborn : Ja, wenn es sich zeigt. Aber im Moment gehen wir doch davon aus, dass ein Großteil kirchlicher Betriebe enteignet war. Dem muss man im Einzelnen nachgehen. STANDARD: Ein Thema der nächsten Bischofskonferenz wird auch der so genannte Dialog für Österreich sein. Im Moment hat man den Eindruck, dass die Auseinandersetzung mit Themen wie Kirche und Frauen oder die Frage der wiederverheiraten Geschiedenen bewusst eingeschläfert wurde. Schönborn : In dieser Weise würde ich es nicht sehen. Eine gewisse Phase des Dialogs geht zu Ende, weil so ein Vorgang kein Perpetuum mobile sein kann. Aber neue Vorgänge werden zweifellos folgen, weil das Prinzip Dialog nicht sterben kann und darf. Der Papst hat uns sehr deutlich gemacht, dass der interreligiöse Dialog zu den großen Prioritäten gehört. Wir werden sicher im nächsten Jahr uns sehr viel intensiver mit dem Islam beschäftigen müssen. Das geht auch nur in Form eines Dialogs. STANDARD: Aber die Themen des Dialogs für Österreich haben weiter Priorität? Schönborn : Diese Dialogthemen werden in ihrer Substanz natürlich immer wieder kommen. Die Frage der Frauen in der Kirche oder etwa Kirche und Sexualität werden Themen bleiben, weil es Menschenthemen sind. STANDARD: In Österreich ist die Diskussion um den Kirchenbeitrag neu aufgeflammt. Nun gibt es die Idee, stattdessen eine für alle Österreicher verpflichtende Kultursteuer wie in Italien einzuführen. Schönborn : Die Frage ist nicht neu. Aber es gibt einen gravierenden Unterschied zu Italien: Dort gibt es die Kultursteuer seit jeher. Eine Diskussion darüber ist sicherlich kein Tabu. Modelle der Kirchenfinanzierung gibt es ungefähr so viele, wie es Ortskirchen auf der Welt gibt. Es bedarf einer Kirchenfinanzierung, das ist gar keine Frage. Es müsste generell bessere Steueranreize für kulturelle und religiöse Initiativen geben. Dass zum Beispiel die Spenden an die Caritas nicht absetzbar sind, ist hinterfragbar. Ebenso, warum der Kirchenbeitrag, der zu einem Großteil auf Umwegrentabilität dem Gemeinwesen zugute kommt, nicht einen höheren Absetzfreibetrag hat. Derzeit sind es 1000 Schilling. Das ist einfach zu wenig. STANDARD: Starten Sie hier eine neue Initiative? Schönborn : Der vorherigen Regierung haben wir ganz klar den Vorschlag gemacht, den Freibetrag auf 2000 Schilling zu erhöhen. Das hat Kanzler Viktor Klima damals nicht weiter aufgegriffen. Die neue Regierung ist dem weltweiten Trend für Steuerbegünstigungen offener. STANDARD: Der Papst wird im Dezember gemeinsam mit dem Klagenfurter Bischof Egon Kapellari auch Jörg Haider empfangen. Ist das nicht ein seltsames Symbol für die katholische Kirche? Schönborn : Das betrifft die Diözese beziehungsweise das Bundesland Kärnten. Noch unter dem Vorgänger von Jörg Haider ist Kärnten an die Reihe gekommen, den Christbaum für den Petersplatz zu liefern. Das ist seit über zwei Jahren bereits bekannt. Es ist nicht angebracht, daraus politisches Kleingeld zu machen. STANDARD: Herr Kardinal, gestern, Sonntag, war der letzte Tage des Weltjugendtreffens in Rom. Rund 1,5 Million Jugendliche feierte mit dem Papst. Welchen Eindruck hatten Sie von diesem Megaevent? Schönborn : Als ich diese Woche vom Flughafen in Rom direkt zum Petersplatz gefahren bin, war ich einfach überwältigt. Der Platz war bis zum Tiber mit jungen Menschen voll. Ich habe in meinem Leben so etwas noch nie gesehen. STANDARD: Sie haben ja auch den Papst aus nächster Nähe erlebt. Wie ist sein Gesundheitszustand? Schönborn : Es ist ziemlich eindrucksvoll, wie der Papst derzeit selber ist. Es geht ihm deutlich besser als beispielsweise beim Weltjugendtreffen vor drei Jahren. Er ist mit kräftiger und klarer Stimme da und hat bei seiner Ansprache oft den vorbereiteten Text frei ergänzt. Was mich aber viel tiefer an den Feiern der Jugendlichen beeindruckt hat: Religiöses Feiern kann etwas sehr Freudiges sein. STANDARD: Das wirkt sehr ambivalent. Einerseits feiert über eine Million Jugendliche mit dem Papst in Rom die Messe, andererseits sagen uns alle Soziologen und Pastoraltheologen, dass es gerade die Jugendlichen sind, die die Kirche verstärkt verlassen. Wie erklären Sie sich das? Schönborn : Wir sind in vielen Teilen der westlichen Wohlstandsgesellschaft bereits in einer anderen Situation. Nicht die Jugend läuft der Kirche weg, sondern die Jugend ist vielfach nicht mehr in der Kirche, weil sie von zu Hause her nicht mehr religiös sozialisiert ist. Das ist eine Generation, wo schon die Großeltern nicht mehr religiös verwurzelt sind. Das hat mit der Verstädterung, der Säkularisierung und dem Verlassen eines traditionellen Biotops zu tun, in dem man sozial und religiös verwurzelt war. Wir haben es großteils nicht mit einer Generation zu tun, die der Kirche weggelaufen ist, sondern noch nie mit der Kirche in Berührung gekommen ist. STANDARD: Wie wollen Sie diese Jugendlichen für die Kirche gewinnen? Schönborn : Das Interessante ist, dass viele Jugendliche heute teils so unbeleckt von religiöser Erziehung und kirchlichen Traditionen sind, sodass es daher einen völligen Neuheitseffekt hat. Es gibt sicher hier beim Weltjugendtreffen in Rom nicht wenige junge Leute, für die das hier die erste kirchliche Gemeinschaftserfahrung in ihrem Leben war. Das ist die große Chance. Es kann der Glaube zu einer echten Alternative werden. STANDARD: Aber für jungen Menschen kann die Kirche mit ihren strikten moralischen Vorgaben nicht mehr attraktiv sein? Schönborn : Ein klares Angebot eines Weges spricht manchmal durchaus mehr an als ein vages Herumreden. Zu glauben, den jungen Menschen den Weg zum Christentum möglichst als "Christentum light" anzubieten, das ist es nicht. STANDARD: Heißt das aber nicht, dass es in Zukunft eine Kirche von einigen wenigen Überzeugten geben wird und dass Sie sich vom Begriff der Volkskirche, wie es sie in Österreich gibt, für immer verabschieden? Schönborn : Das wird über mich immer gesagt. Ich weiß nicht, wie dieser Sager zustande gekommen ist. Ich komme gerade von der französischen Nationalwallfahrt aus Lourdes, die ich mitleiten durfte - übrigens ein schönes Zeichen in diesen Tagen, dass ein Österreicher die französische Nationalwallfahrt mitleiten durfte. Das ist dort auch Volkskirche. Aber man hat in Frankreich bereits in den 60er-Jahren den Fehler gemacht, eine Elitekirche von Aktivisten zu fördern und die Verbindungen zur Volkskirche zu kappen. Ich bin also ganz und gar nicht dafür, dass die Kirche von sich aus zur kleinen Herde werden soll. Dass sie es de facto ist, müssen wir aber auch nüchtern feststellen. Die Kirche muss immer eine gestufte Zugehörigkeit haben, von Intensivkernen bis zu solchen, die immer am Rande mitgehen und sich dann doch geborgen fühlen. (D ER S TANDARD , Print-Ausgabe, 21.8. 2000)