Der Euro/Dollar-Wechselkurs überschießt seinen theoretischen Gleichgewichtswert der Kaufkraftparität von Sachgütern und Dienstleistungen stark nach unten oder oben. Der Ölpreis wird auch von nichtökonomischen Faktoren beeinflusst. Experten schließen aus, dass der "fundamentale Gleichgewichtspreis" so stark schwankt wie der reale Ölpreis.

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Aktien- und Wechselkurse bewegen sich längerfristig betrachtet "in line" mit ihrem "Fundamentalgewicht", überschießen dieses jedoch nach oben und unten. Oder anders gesagt: "Sie schwanken in irregulären Zyklen um den Bereich des realwirtschaftlichen Gleichgewichts ohne eine Tendenz, zu diesem Gleichgewicht zu konvergieren." So lautet die Kernaussage einer Studie von Stephan Schulmeister, Wissenschafter beim Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung (Wifo), über die "manisch-depressiven Preisschwankungen auf den Finanzmärkten".

Im Vordergrund stand dabei die Frage: "Wie können kurzfristige Transaktionen Kursbewegungen auslösen, die sich zu mehrjährigen Bullen- oder Bärenmärkten akkumulieren, wenn doch der Zeithorizont der meisten Transaktionsentscheidungen immer kürzer geworden ist und heute bei einigen Minuten bis wenigen Stunden liegt?"

In Gegenüberstellung mit einem Random-Walk-Modell fand Schulmeister heraus, dass die Asset-Preise (anhand des Beispiels Euro/Dollar-Wechselkurs) kurzfristig stärker schwanken, als es zu erwarten gewesen wäre. Die kurzfristige Schwankungsbreite um einen Trend ist dabei umso größer, je höher die Datenfrequenz ist. Sie sei etwa bei Minutenkursen viel größer als bei Tageskursen. Längerfristige Trends nach oben oder unten (ein Bull- oder Bear-Markt) ergeben sich aus der Akkumulation von Kursschüben ("runs") auf Basis von Tagesdaten, die über mehrere Jahre in eine Richtung länger dauern als in die andere.

Kurs-Erwartungen

Professionelle Trader bildeten aufgrund von "news" lediglich Erwartungen über die Bewegungsrichtung von Kursen, nicht aber über ihr tatsächliches Gleichgewichtsniveau. "Beispielsweise setzt ein Händler bei einer Dollarzinssenkung auf Euro-Aufwertung, statt das neue 'Fundamentalgleichgewicht' des Euro zum Dollar zu quantifizieren", sagt Schulmeister. "Schnelle" und in der Folge "langsame" Trendfolgesysteme lösen einen Rückkoppelungsprozess und damit erst recht einen Trend aus. Die Psychologie spielt den Marktteilnehmern natürlich auch immer wieder Streiche: So verursache die Dominanz einer "asymmetrischen Marktstimmung" – das Pendel schlägt eher Richtung Optimismus oder Pessimismus aus – bei ihnen selektive Wahrnehmung. Das heißt nichts anderes, als dass wir gerne hören wollen, was wir glauben: "Auf Nachrichten, die der Marktstimmung entsprechen, wird stärker reagiert als auf gegenteilige Nachrichten." Und deshalb dauern Kursschübe, die der Marktstimmung entsprechen, einfach länger an, als die Gegenbewegungen. Christian Floth, Chef der Devisenmanagement Company, hielt beim Europäischen Finanz-Forum, einer Expertenplattform für Banker und Manager, fest, dass Währungsentwicklungen sowie die Entwicklung von Gold und Rohöl zu einem großen Teil auf Spekulationen beruhen. "Durch die gewaltigen Cash-Reserven schaffen es Investoren viel stärker, Kursentwicklungen zu beeinflussen. Für Notenbanken wird es immer schwieriger, darauf zu reagieren."

Schulmeisters Conclusio für Investoren: "Als geschickter Spekulant kann ich mithilfe technischer Modelle Gewinne machen, aber das Phänomen des Trendings hat sich in den ,intra-day-Bereich‘ verlagert. Das heißt, für jene, die, anders als die Profis, etwa erst am Abend dazukommen, ihre Positionen zu überprüfen, kann es zu spät sein."

Instabilität

Da eine übermäßige Instabilität sich in Form von gesteigerter Unsicherheit auf die Realwirtschaft niederschlage, und sie somit beeinträchtige, müsste in den Augen von Schulmeister die Politik eingreifen, "um das Ausmaß des schlechten Funktionierens“ zu mildern. "Die Politik sollte ein Interesse daran haben, einen Befund zu machen, denn bis zu den 70er-Jahren waren die Märkte über zwei, drei Jahrzehnte stabil."

Im Zweifelsfall seien nicht immer die freien Märkte die beste Lösung, etwa wenn Akteure in hohem Maße gefühlsgeleitet agierten, und dies sei auf den Trading-Floors nicht zu leugnen. "Die Verlagerung im unternehmerischen Gewinnstreben weg von realwirtschaftlichen Aktivitäten hin zu Finanzveranlagung hat wesentlich zur Wachstumsabschwächung seit Anfang der 1970er-Jahre beigetragen", fasst Schulmeister zusammen. (Linda Kappel, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 22.11.2007)