Michael Ballhaus hat Filmgeschichte geschrieben. Bei einem von der Berlinale organisierten Workshop an der italienischen Uni von Pollenzo zeigte er Studenten, wie man Essen richtig filmt.

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DER STANDARD: Herr Ballhaus, nach "The Departed" von Martin Scorsese machen Sie jetzt ein Projekt mit der Slow-Food-Universität für Gastronomische Wissenschaft im italienischen Pollenzo. Wie erklären Sie den Übergang?

Ballhaus: Ich arbeite gerne mit Scorsese - nur drehe ich nicht so gerne Gewaltszenen. In Scorseses Filmen ist aber sehr viel Gewalt, darum konzentriere ich mich zurzeit mehr auf meine Arbeit in Deutschland. Ich unterrichte an zwei Filmschulen und arbeite aktiv bei der Berlinale mit. Deren Direktor, mein Freund Dieter Kosslick, hat vergangenes Jahr eine neue Veranstaltungsreihe ins Leben gerufen. Die heißt "Kulinarisches Kino - Eat, Drink, See Movies" und wird von Thomas Struck geleitet. Filme über Essen und Ernährung haben einen immer größeren Markt, wie ja auch die Erfolge einiger österreichischer Dokumentationen in letzter Zeit beweisen. Auch ich filme lieber die Sinnlichkeit von Speisen und Gerichten als Gewaltszenen.

DER STANDARD: Gewalt kann doch aber auch sehr sinnlich sein. Daniel Day Lewis' Figur von Bill, der Butcher in "Gangs of New York", ist doch ein schönes Beispiel dafür.

Ballhaus: Ja, ja, keine Frage, auch Gewalt kann Sinnlichkeit vermitteln. Ich meine ja auch nur, dass es mir nicht so viel Spaß macht, Gewalt sinnlich darzustellen. Aber wenn Martin Scorsese das so will, dann gibt man halt sein Bestes. Ich mache einfach lieber Filme wie "Zeit der Unschuld," in dem es viele schöne Essensszenen und keine Gewalt gibt.

DER STANDARD: Wie ist das Projekt mit der italienischen Uni entstanden?

Ballhaus: Bei der Berlinale saß ich neben Carlo Petrini, dem Gründer und Präsidenten von Slow Food. Ich habe schnell verstanden, dass der Mann eine fabelhafte Vision hat, an der ich gerne teilhaben würde. Wir beschlossen dann, ein Projekt gemeinsam zu verwirklichen. Es geht darum, Studenten zu helfen, ihre Erlebnisse bei Produzenten und Bauern, die sie besuchen, filmisch festzuhalten. Wir wollen eine Art visuelles Lexikon des Essens gestalten. Die Gastronomiestudenten machen unglaubliche Reisen und treffen fantastische Menschen - das wollen wir dokumentieren. Bedrohte Herstellungsmethoden und Nutztierrassen sollten gefilmt und für die Nachwelt erhalten werden.

DER STANDARD: Worauf sollte man besonders achten, wenn man Essen filmt?

Ballhaus: Ich war eigentlich, außer ganz am Anfang meiner beruflichen Karriere, nie ein Dokumentarfilmer. Es ist nicht so leicht, Essen zu filmen. Natürlich will man es so gut und appetitlich wie möglich aussehen lassen, oft steht einem dabei schon die Beleuchtung in den Küchen im Weg. Auf einem Set ist es natürlich wesentlich leichter, die Sinnlichkeit der Speisen hervorzuheben. Gegenlicht hilft da sehr.

DER STANDARD: Gibt es einen Zusammenhang zwischen Scorseses italienischen Wurzeln und der Darstellung von Essen in seinen Filmen?

Ballhaus: Absolut. Sein bester Freund als Kind war ja der Sohn des lokalen Gangsterbosses in Little Italy. Scorsese wuchs auf mit schmatzenden und schlürfenden Mafiosi. Die Pastasauce aus "Good Fellas" habe ich übrigens schon oft nachgekocht, sie ist fantastisch.

DER STANDARD: Wo sehen Sie sonst Parallelen zwischen Essen und Kino?

Ballhaus: Carlo Petrini hat mir einmal gesagt, gutes Essen erzähle eine Geschichte. Das ist doch eine schöne Parallele. Irgendwie ist Essen die älteste Form der Kultur und Film die neueste. Bei beiden spielt das Vergnügen, der Genuss, eine wesentliche Rolle, und erstaunlicherweise gibt es bei beiden in letzter Zeit einen enormen Qualitätsverlust. Dem gilt es gegenzusteuern.

DER STANDARD: Woran arbeiten Sie im Moment?

Ballhaus: Wir drehen eine Dokumentation über Berlin. Genauer gesagt über die traditionellen Berliner Ballhäuser. Der Film soll dann auch "Ballhaus Berlin" heißen.
(Georg Desrues/Der Standard/rondo/23/11/2007)