Wien - Formelreiche Biologie: So ist etwa die Populationsgenetik, welche die Häufigkeiten des Auftretens von Genen in einer Population untersucht, stark von mathematischen Modellen abhängig. Zwar gibt es bereits seit rund 100 Jahren die theoretische Populationsgenetik, erklärte Joachim Hermisson (38): "Doch in jüngster Zeit sind riesige Datenmengen wie etwa Sequenzdaten hinzugekommen". Sie sind nur noch mit der Mathematik zu analysieren. Beide Disziplinen repräsentiert der deutsche Forscher, der jüngst seine Stiftungsprofessur des Wiener Wissenschafts-, Forschungs- und Technologiefonds (WWTF) als "Brücken-Professur" angetreten hat.

Beispiel für Datenmenge

Die Flut an genomischen Sequenzdaten (z.B. Daten zur Nukleotidfolge der DNA) hat sich in den letzten Jahren noch einmal potenziert: "Man sprich jetzt schon davon, dass man nicht nur einzelne Genome sequenziert, sondern in Populationen die vollen Genome von verschiedenen Individuen über Stichproben durchsequenziert", so der 38-jährige Evolutionsbiologe und Mathematiker.

Ein beliebtest Forschungsobjekt ist dabei die Fruchtfliege (Drosophila). "Wenn man bedenkt, dass vor einigen Jahren die Sequenzierung eines einzelnen Genoms noch eine technologische Höchstleitung war, jetzt aber ein Projekt zur Sequenzierung von 50 kompletten Drosophila-Genomen bereits gestartet und die Sequenzierung von 1.000 Genomen konkret im Gespräch ist, dann kann man den Fortschritt wohl erahnen", so der Forscher: "Hier kommen derartig viele Daten auf uns zu, so dass deren Modellierung und statistische Bearbeitung stark in den Vordergrund rückt."

"Brückenprofessur"

Hermisson, der im Rahmen der Stiftungsprofessur im Bereich der mathematischen Populationsgenetik forschen wrid, sieht seine neue Stellung als eine Art "Brückenprofessur". Der Forscher, der in theoretischer Physik promovierte und in Biologie habilitierte, ist nun sowohl in der Fakultät für Mathematik der Uni Wien als auch in den Max F. Perutz Laboratories verankert. Sein direkter Kollege ist hier der 2005 eingesetzte WWTF-Stiftungsprofessor und Bioinfomatiker Arndt von Haeseler. Auch die Arbeitsgruppe von Hermisson bestehend aus drei Post-Docs und drei Dissertanten verteilt sich auf beide Standorte. Für die nächsten fünf Jahre stehen ihm 1,5 Mio. Euro über die WWTF-Mittel zur Verfügung.

"Von außen betrachtet hat gerade Wien in der theoretischen Biologie einen sehr guten Ruf", so Hermisson, der zuvor als Gruppenleiter am Department für Biologie an der Universität München arbeite: "Sie ist von Peter Schuster in der theoretischen Chemie begründet worden. Sehr früh kam Karl Sigmund als Mathematiker hinzu. Mit den beiden Namen verbindet sich der gute Ruf." Aus dieser "Wiener Schule" hätten viele Vertreter den Weg an international renommierte Universitäten wie etwa Harvard oder Yale gefunden.

Hermisson sieht sich selbst in erster Linie als Evolutionsbiologe: "Die Fragestellungen, die mich beschäftigen, kommen aus der Biologie. Ich suche mir die passenden mathematischen Methoden, um sie zu beantworten." Es spielen analytische Modellierungen, Computersimulationen, Stochastik und die Statistik eine große Rolle. "Aus der Sicht der Mathematik bin ich ein angewandter Angewandter Mathematiker." (APA)