Naomi, die 12-jährige Tochter von Peter Waterhouse, zeichnete auf Wunsch des Autors dieses Bild, nachdem er ihr von Erich Fried erzählte und davon, wie der Clown und Jago in Shakespeares "Othello" sprechen.

Collage: Naomi Waterhouse

Am 8. Januar 1971 widmet Erich Fried seine Übersetzung von William Shakespeares Othello, the Moor of Venice einem Recht Ehrenwerten Herrn. Die Worte "recht" und "ehrenwert" – "right" and "honourable" – beschreiben diesen Herrn nicht, obgleich "ehrenwert" und "recht" Adjektive sein könnten, nicht ganz klare, nicht so einfache. "Ehrenwert" wie "preiswert"? Der recht preiswerte Herr? Man muss sich nicht unbedingt Gedanken machen um das Rechte und das Respektable, denn die beiden Worte bilden einen Titel. Also? Also ist der Titulierte in jedem Fall recht respektabel? Ist es recht und respektabel, was immer er tut? Hat er sozusagen immer Recht, und kann man ihn also überhaupt nicht ernst nehmen? Oder ist nur der Titel ehrenwert, der damit titulierte Reginald Maudling aber nicht ehrenwert, wenigstens nicht immer ehrenwert? Honourable? Maudling? Wer ist Maudling? Maudlin, ohne den Buchstaben "g" am Wortende, ist ein Adjektiv. Es ließe sich übersetzen in "weinerlich", "sentimental".

Heißt der "Mohr von Venedig" Mohr oder ist er ein Mohr? Von 1462 bis 1471 war ein Christoforo Moro Doge von Venedig. Venedigs Kommandeur auf Zypern im 16. Jahrhundert hieß Cristofalo Moro. In der im Jahr 1566 in Venedig gedruckten Sammlung von Erzählungen "Hecatommithi", die unter anderem seine Geschichte erzählt, kommt der Name Cristofalo Moro nicht vor. Der Kommandeur heißt dort nicht mehr Moro, sondern ist moro, der Mohr, der Schwarze, der Nordafrikaner. Der italienische Name Moro ist übersetzt ins Nordafrikanische, bezeichnet jemanden aus Mauretanien, der muslimisch sein könnte.

Wer ist Othello?

Den Titel "il moro" fand Shakespeare in jener Sammlung von Erzählungen und gab dem Titel einen Namen: Othello, welcher in der Vorlage nicht steht. Ist das "th" in Othello ein englisches "th"? Oder ist es dasjenige "th", das man im arabischen Wort "eothman" zu hören bekommt? "Eothman" ist der arabische, arabisch ausgesprochene Name der türkischen Dynastie der osmanischen Sultane und der Name des Gründers des Osmanischen Reichs. Wer ist Othello? Ein Osmane, ein Ottomane, ein Muslim, ein Mauretanier, ein venezianischer General namens Cristofalo? Ein Mohammedaner, dessen arabischer Name seine türkische Identität anzeigt und der ein venezianischer Bürger ist? Jemand also, der viel mehr ist, als er ist? Und wer ist Jago? Der ist bereit, sich selbst zu beschreiben. Bereits in der ersten Szene des ersten Akts sagt er: "I am not what I am." Dieses "Ich bin nicht, was ich bin" sagt Jago nicht nur früh im Stück, so gut wie einleitend und schon auf Seite 2 oder in Minute 2, sondern er sagt es auch im Zusammenhang eines Monologs, in welchem vieles nicht ist, was es ist. Selbst das ehrenwerte Wort "Sir", mit dem Jago Rodrigo anspricht, ist nicht es selbst, sondern wird – wie soll man das sagen? – ein bisschen übersetzt oder entmachtet oder umspielt durch das Wort "to serve": "O, sir, content you: / I follow him to serve my turn upon him." Jago gibt hier scheinbar ohne Verstellung zu, dass sein Dienst an Othello vor allem ihm selber dient und nützt. Gibt damit auch zu, dass es mit dem ehrenwerten Titel "Sir" nicht weit her ist. Auch der gerade angesprochene Rodrigo und Sir dient Jago – mehr Service als Sir.

Others there are / Who, trimmed in forms and visages of duty, / Keep yet their hearts attending on themselves, / And, throwing but shows of service on their lords, / Do well thrive by them; and when they have lined their coats, / Do themselves homage: these fellows have some soul, / And such a one do I profess myself. / For, sir, / It is as sure as you are Roderigo, / Were I the Moor, I would not be Iago: / In following him, I follow but myself.

Jago wendet, in seiner Ansprache an Rodrigo, eine merkwürdige, eine sehr merkwürdige Logik an: "It is as sure as you are Roderigo, / Were I the Moor, I would not be Iago." In diesem Satz scheint etwas selbstverständlich richtig zu sein und zugleich so gut wie falsch oder jedenfalls falsch begründet. "Wäre ich der Mohr, dann wäre ich nicht Jago." So weit scheint die Sache fast selbstverständlich – wenngleich hyperselbstverständlich und darum nicht mehr so ganz verständlich. Doch die Begründung dieser Aussage macht sie wieder fraglich: So sicher wie du Rodrigo bist. In eine Formel übertragen bedeutet das ungefähr: So sicher wie du du selbst bist – wär ich ein anderer, wär ich nicht ich selbst. Oder in ein Resumee übersetzt: Die Begründung begründet hier nichts. Dieses Begründungsdurcheinander leitet Shakespeare mit einer übervollen Leerzeile ein. Die Zeile lautet: "For, sir", auf das recht ehrenwerte Wort "Sir" folgt nichts und nichts und nichts und nichts oder, anders gesagt, das Wort "Sir" klingt und klingt und klingt nach und klingt nach und wird immer unzuverlässiger, unehrenhafter, illoyaler, wird immer mehr zum Service, der einem anderen dient als jenem "Sir". Dieses Begründungsdurcheinander oder diese Klärung oder Narretei treibt Jago im Theaterstück immer weiter voran. Der Verräter ist auch ein Aufklärer. "Men should be what they seem; / Or those that be not, would they might seem none!" Das sagt in seiner Komplexität fast nichts und leistet gerade dadurch, glaube ich, einen Beitrag zur Klärung von Identitäten. Erich Fried hat diese logische bis unlogische Forderung so übersetzt: "Gut wär’s, wenn Menschen wären, / So wie sie scheinen. Oder die so nicht sind, / Die sollens auch nicht scheinen." Othello hört in dieser Szene den ersten Satz und stimmt ihm zu und antwortet: "Ja, gewiß, / Die Menschen sollten sein, so wie sie scheinen." Den zweiten Satz, der in ein Labyrinth führt, hört Othello nicht: "Oder die nicht so sind, / Die sollens auch nicht scheinen." Der englische Jago macht die Sache fast noch schwieriger oder nichtiger oder klarer: "would they might seem none!" Die sollen nicht scheinen. Wie kann man nicht oder nichts scheinen?

Jago ist dabei nicht der einzige Verwirrer und Aufklärer. Da ist auch der Clown, der die sprachlichen Identitäten, das sprachliche "es ist, was es ist", übersetzt, also entkräftet, verwirrt, also eigentlich entwirrt. Desdemona spricht den Clown – von Beruf ist er Othellos Diener – mit dem Wort "sirrah" an, womit sie höher steht als der Angesprochene. Ein solches Stehen geht nicht gut aus.

Desdemona / Do you know, sirrah, where Lieutenant Cassio lies? / Clown / I dare not say he lies anywhere. / Desdemona / Why, man? / Clown / He’s a soldier, and for one to say a soldier lies is stabbing. / Desdemona / Go to! Where lodges he? / Clown / To tell you where he lodges is to tell you where I lie. / Desdemona / Can anything be made of this? / Clown / I know not where he lodges, and for me to devise a lodging, and say he lies here, or he lies / there, were to lie in mine own throat. / Desdemona / Can you inquire him out? And be edified by report?

Auf den clownesken Unsinn, besser gesagt auf die clowneske Genauigkeit antwortet Desdemona mit hohem Ton und Hohlheit. Während der Clown "to lie" und "to lie" verwirrt, "liegen" und "lügen" nicht unterscheidet, geht Desdemona bergauf in die hohe oder Hochsprache und spricht von "inquire" und von "edify", von moralischer Erbauung. Vielleicht sind ihre Worte ironisch. Der Clown ist nicht ironisch. Ist der Clown nicht eine Art Übersetzer, der "to lie" in "to lie" übersetzt, der im Gleichen das Ungleiche hört?

Immer wieder muss ich daran denken, dass der in London lebende Übersetzer des Othello, der Deutsch schreibende, der loyal deutsch, illoyal deutsch schreibende, wohl teils clownesk in England lebende, wie ein Clown das Englische hörende, "to lie" und "to lie" hörende, immer wieder das "Es ist nicht, was es ist" hörende und der, sagen wir einmal, ewiglang Shakespeare aus dem Englischen ins Deutsche übersetzende Übersetzer und Autor Erich Fried seinen Othello gewidmet hat. "Diese Othello-Übersetzung ist dem Recht Ehrenwerten Reginald Maudling, Geheimer Rat, Parlamentsmitglied, gewidmet, sowie dem britischen Innenministerium, dem er derzeit vorsteht. Seine und seiner Helfer Rührigkeit gegen Rudi Dutschke, ihre Andeutungen und Anwürfe und ihre höchst eindrucksvoll zur Schau gestellte Geheimtuerei haben meine Übersetzungsarbeit oft unterbrochen. Dafür haben sich mich aber reichlich dadurch entschädigt, dass sie mich lebhaft empfinden machten, wie aktuell dieses Drama immer noch ist, etwa wenn hinter Desdemonas Rücken Indizienbeweise gegen sie zusammengetragen werden. Das half mir mehrmals die rechten Worte finden. – Diese Widmung soll eine kleine, aber bleibende Erkenntlichkeit für alles sein, was ich und viele andere dieser Erfahrung verdanken. – Erich Fried, London, 8. Januar 1971"

Sagt hier der Übersetzer, diskret, fast mit dem britischen Understatement – eine Eigenschaft, die in Wien, wenn man genau zuhört und liest, weiter verbreitet ist als im Land der Herkunft –, sagt hier der Übersetzer, dass er keine rechten und recht ehrenwerten, auch keine Geheimratsworte gefunden hat und dass eine Übersetzung etwas anderes ist als eine Sache mit rechten Worten? Was sind nämlich die rechten Worte, die so recht sind wie der rechte Minister – der für seine im Parlament gesprochenen rechten Worte zum Bloody Sunday in Derry, aber der geschah erst im Januar 1972, von der nordirischen Abgeordneten Bernadette Devlin geohrfeigt wurde, welche an jenem Bloody Sunday in Derry gewesen war und die Schießerei gesehen hatte und dann im englischen Parlament keine Redeerlaubnis bekam.

Liegen und Lügen

"Half mir die rechten Worte finden" – Fried spricht hier von der deutschen Übersetzung und der deutschen Sprache – und die Worte dieser zu finden, wie kann ihm da die englische, die von Maudling und seinen Helfern gesprochene Sprache geholfen haben? Wer im Othello würde so sprechen: Reginald Maudlings und seiner Helfer Rührigkeit half mir die Worte finden? Der Clown? To lie and to lie, liegen und lügen, Helfer und helfen, recht und recht? Erzählt uns also Frieds Widmung, dass es ihm nicht um die rechten Worte geht, sondern um die anderen, um die Worte und Sprache des Clowns? Antwortet Fried dem ehrenwerten, doch nicht geehrten Innenminister auf dieselbe Weise, wie der Clown Desdemona antwortet? "Where lies Cassio?" "I dare not say he lies anywhere." Lügen und Nichtlügen nicht in Opposition, nicht unterscheidbar? Hat für eine solche Unklarheit, anders gesagt für eine solche Gleichheit der Zweisprachige, der Wiener Londoner und Wielondoner einen besonderen Sinn? Ist jeder Clown zweisprachig und so london-wienerisch wie Fried? (Peter Waterhouse , ALBUM/DER STANDARD/Printausgabe, 24./25.11.2007)

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