Spickzettel auf die Stirn kleben, damit sie niemals vergessen, wer sie sind: Kirsch, Jung, Lohse, Höld (v. li.)

Foto: Alexi Pelekanos
Wien - Die Jahre des blutigen Volkstheaters sind noch nicht gezählt. Mit einer erfreulichen Reminiszenz an Werner-Schwab- oder Thomas-Jonigk-Inszenierungen der 90er-Jahre tat am Donnerstagabend das Wiener Schauspielhaus unter Andreas Beck den ersten Schrei. Das Fabelhafteste daran: ein erlesenes Schauspielerensemble. Kraftvoll und dabei immer feinspurig bewegt es sich bei der Uraufführung von Ewald Palmetshofers hamlet ist tot. keine schwerkraft durch das verminte Feld einer Familientragödie.

Nichts hat dabei so weh getan, wie der aus den Rippen gepresste, den Raum zersägende, nicht enden wollende Verzweiflungsschrei von Bine (Bettina Kerl). Irgendwann musste der heraus, weil das Leben einfach mies ist. Und auch nicht besser wird, wenn man in einem gepflegten Faltenröckchen steckt und den Richtigen geheiratet hat. Ein Glück auch auf Kosten der anderen: Bine und Oli (Vincent Glander) wurden ein Paar, bauen ein Legohaus und haben die mit ihnen befreundeten Geschwister Dani (Nicola Kirsch) und Mani (Stephan Lohse) zurückgelassen. Doch dann passierte "das mit dem Hannes".

Ewald Palmetshofers hamlet wälzt eine dicke Matte der Sprachlosigkeit. Sätze erbrechen regelmäßig, bevor sie zum Kern der Wahrheit führen. Und will eine einmal über Liebe reden, dann faselt sie himmellang von "Unendlichkeit" und "Breite". Mit Geschick und großem dramaturgischen Feingefühl umkreist dieser Uraufführungstext die wunden Punkte seiner Protagonisten. Manchmal tritt einer von ihnen in den Bühnenvordergrund und hält ein Kurzreferat - über CO2 oder Fairtrade, Themen, die einen bis in die eigene Substandardwohnung verfolgen.

Die Inszenierung von Felicitas Brucker erkämpft sich von einem etwas zähen Start weg zunehmend ihre Gültigkeit, und verbirgt dabei die leichte Patina des Trashtheaters nicht. Zu der von Bernhard Kleber entworfenen zerfledderten weißen Bühnenlandschaft mit deprimierender Holzsitzecke gehören gefährliche Vertiefungen. Eine von ihnen ist ein Grab. Das Grab von Hannes. Das Begräbnis führt die einmal in "Freundschaft" verbundenen jungen Menschen noch einmal zusammen. Die Verbindungsstelle ist in Wahrheit aber eine große Kluft.

Auf die Tristesse des längst erkennbaren Standesunterschieds drischt Papa Kurt (Steffen Höld) hie und da ein, dass die Gipsplatten zersplittern (Er hätte gern einmal ein Haus gebaut). Mutter (Katja Jung; "Mag noch wer Kaffee?") schnitzt am Helloween-Kürbis herum, und spielt sich mit Mordgedanken die Oma betreffend. Je unglücklicher man hier haust, desto länger der Redeschwall.

Star aus Belgien

Der zweigeteilte Eröffnungsabend wurde also ein Erfolg. Die der Uraufführung vorangegangene Premiere von Händl Klaus' Todesmonologen Ich ersehne die Alpen; So entstehen die Seen schien allerdings weniger einer Neuinszenierung, mehr einem Schauspielerinnenauftritt geschuldet zu sein. Berühmtester Neuzugang im neu formierten Theaterhaus ist denn der belgische Star Viviane de Muynck. Sie war in Österreich zuletzt in Thomas Bernhards Ein Fest für Boris bei den Salzburger Festspielen zu sehen. Man darf hoffen, der Applaus war energisch. (Margarete Affenzeller, DER STANDARD/Printausgabe, 24./25.11.2007)