Bild: Crysis

EA
Je weiter sich virtuelle Spielfiguren von eckigen Pixelmännchen zu fotorealen Menschenbildern verändern, desto intensiver wird die Debatte um die negative Beeinflussung der zu "Killerspielen" gewordenen Ballereien geführt. Wenn Spiel zur Simulation ausreift, kann Unterhaltung zum negativen Lehrbeispiel werden. Momentan gibt besonders der neue Teil der Call of Duty -Reihe Anlass für solche Ängste.

Scharf geschossen

Der Dienst ruft diesmal mitten in erfundene, mit Hightech-Waffen ausgetragene Gegenwartskonflikte (Titelzusatz: "Modern warfare"). Tatsächlich stößt man dabei auf eine neue Qualität im Erscheinungsbild derartiger Kriegsdarstellungen. Zur dichten Atmosphäre des Spiels tragen ausgefeilte Bewegungsmuster der Figuren bei. Wenn sie sich etwa beim Öffnen einer Tür gegenseitig Deckung geben, provoziert das Authentizitätsgefühle, die den militärischen Berater der Produktion (ja, den gibt es!) stolz machen. Genauso wie das physiologisch korrekt wirkende Fallen und Zappeln der Getroffenen. Die Realitätsnähe bleibt freilich eine oberflächliche: Der Ablauf besteht wie bei allen Shootern darin, mit Maus oder Controller das Fadenkreuz auf Bildschirmbereiche zu richten, wo virtuelle Feinde aufpoppen. Es bleibt eine plumpe Schießbude. Mehrspielervarianten haben Potenzial, taktisches Verständnis zu vermitteln. Der Shooter Battlefield 2 hat Ansätze in diese Richtung.

Physik

Auch einen großen Sprung bei augenscheinlicher Realitätsnähe schafft Crysis. Das Inventar der Spielwelt gehorcht den Gesetzen der Physik - zumindest einer vereinfachten Version davon. Aber es reicht, dass Bäume umfallen und Hütten zusammenbrechen können. Und nicht nur die Physik ist schlau, auch die künstliche Intelligenz der Computer-Gegner.

Konsequenzen

Inspirierten diese Produkte zum Amoklaufen? Dass die Ballerei als Projektionsfeld für Möchtegern-soldaten dient, die dem beinahe anthropologischen Phänomen des Kriegspielens nicht entkommen, mag sich so schnell nicht ändern. Und wenn nicht Möchtegernsoldat, stehen andere Gründe an: Selbststilisierung als jugendlich-bösartiger Rebell, Sucht nach virtuellen Grafikfinessen und Flucht in berechenbare Welten.

Zwiespalt

Exzessiver "Genuss" von Kriegsspielen ist ein Symptom, das anzeigt, dass in der Gesellschaft etwas nicht okay ist. Genauso wie Amokläufe Symptome sind, dass etwas ganz sicher nicht in Ordnung ist. Was hilft es aber, den Schmerz zu verbieten, ohne die Krankheit zu heilen? (Alois Pumhösel, Der Standard/Printausgabe vom 24.11.2007)