Das Hinterland Senegals ist wirtschaftlich wie politisch im Abseits. Es gibt keine Arbeit. Die Männer wollen nach Europa, nur wenige schaffen es auch

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Der Weg zu Abdoul Nila Kante führt über holprige Straßen. Er schlängelt sich an mit Stroh gedeckten Lehmhütten vorbei, führt durch Mais- und Baumwollfelder. Ziegen, Kühe und gackernde Hühner kreuzen ihn. Kante, ein älterer Mann mit scharf geschnittenem Gesicht, sitzt umringt von den Dorfältesten im Schatten eines Baumes. Er ist der Chef der Baumwollbauern von Kédougou im Bassari-Land, tief im Hinterland von Senegal. Er erzählt vom Regen, der heuer zu früh und zu spärlich kam. Er erzählt, dass den Bauern Arbeitsgeräte und Dünger fehlen und dass immer mehr Kinder das Dorf Ibel verlassen, um in Dakar Arbeit zu suchen.

Nur wenige kehren mit Geld zurück

Kante spricht langsam und bedächtig, sein strenger Blick veranlasst die Buben, die aus den Hütten hervorlugen, dazu ihr fröhliches Gelächter zu unterdrücken. Erst vor zwei Wochen habe eine Gruppe junger Männern aus seinem Dorf Senegal verlassen. Mit einer Piroge sollte es nach Europa gehen. Sieben sind ertrunken. Der Traum der Jungen vom besseren Leben in Europa mache ihm Sorgen, sagt Kante. Einige wenige nur kehrten mit Geld zurück. Sie hätten ihm erzählt, dass es dort schwierig sei. Doch warum, darüber wolle sich keiner so recht äußern. Er kenne viele, die beim Versuch zu emigrieren gestorben seien. "Aber die Kinder sehen nur die, die zurückkommen und hier für ihre Familie ein neues Haus bauen."

20 Kilometer entfernt in Kédougou macht der Pole Marek Myslinski seinem Ärger Luft. Der Priester führt eine Schule für 190 Kinder mit angeschlossenem Internat. Die drei besten aus jedem Dorf dürfen sie kostenlos besuchen. "Wir bilden sie gut aus, viele schaffen es auf die Universität nach Dakar. Und dann? Dann gibt es für sie keine Arbeit."

Die Besten gehen

Kédougou ist rund 18 Autostunden von Dakar entfernt. Auch wirtschaftlich und politisch sei die Region im Abseits, sagt Myslinski. Arbeit gebe es nur in der Landwirtschaft oder für Leute mit guten Beziehungen. "Das ist die Realität." Europa erscheine auch für viele seiner Schüler als das Ziel aller Träume. "Senegalesen, die gehen, sind mehrheitlich sehr gut ausgebildet. Das ist für das Land ein großer Verlust, Senegal wird dadurch immer ärmer." Myslinski redet schnell und eindringlich. Der drahtige Pole hat hier viel bewegt, aber den Glauben an ein paradiesisches Europa könne auch er nicht zerstören. "Die Eltern eines geflüchteten Mannes bauen ein Haus, haben plötzlich Geld. Meine Kinder hier sehen die neuen Ziegelsteine" - alle Worte prallten daran ab.

Rund 1000 Dollar kostet die Flucht auf Fischerbooten von der Küste Senegals. Tausende Männer treten Jahr für Jahr die mehr als 1000 Kilometer lange Überfahrt zu den Kanaren an. 2006 wurden innerhalb eines halben Jahres 25.000 Flüchtlinge noch in Afrika aufgehalten. Es sind Studenten, Beamte, die ältesten und begabtesten Söhne der Familien.

Das Geld, das diejenigen, die es bis nach Europa schaffen, schicken, überwiegt mittlerweile die europäische Entwicklungshilfe. Wie viele die Flucht übers Meer nicht überleben, will keiner abschätzen. Wer auf den Pirogen schläft, riskiere über Bord geworfen zu werden, wird hier erzählt. Jeder weniger erhöhe die Chance der anderen zu überleben.

Ärmste Region

Mamadou Mbodj ist der Präfekt von Kédougou. An seinem Anzug prangen goldene Knöpfe. Über ihm kämpft der Ventilator gegen die stickig heiße Luft, vor ihm ein mächtiger schwarzer Schreibtisch. Es sei hier die ärmste Region Senegals, bestätigt er. Aber seine Regierung unternehme bereits viel, um die Lebensbedingungen der Bauern zu verbessern.

Die Anstrengungen gehörten freilich noch erhöht, sagt er und berichtet von neuen Initiativen für die Jugend. "Zurück zur Landwirtschaft" nennen sie sich, es gebe Land und Werkzeuge. Stolz zeigt er auf den Traktor vor seinem Amtshaus. Neu aus Dakar sei der, und weitere würden folgen.

Coumba Diallo, Landwirtin im 300-Einwohner-Dorf Ndébou, wird diesen Traktor nie fahren. Ihre Familie kann sich auch keinen Pflug für die Feldarbeit leisten. 35 Jahre ist sie alt, fünf Kinder hat sie, und diese sollten es einmal besser haben als sie, sagt sie. Sie selbst habe nie Lesen und Schreiben gelernt. Ihre Kinder schickt sie zur Schule. Sie sollen eine gute Arbeit erhalten, die Familie unterstützen.

Spärliche Beleuchtung

Kédougou ist nach Sonnenuntergang beinahe stockfinster. Die Einwohner der kleinen Stadt sammeln sich unter dem Licht der Geschäftsstände und vor drei alten Fernsehern entlang der Hauptstraße. An der Zapfsäule der Tankstelle hat eine Ziegenherde Nachtquartier bezogen. Vis-à-vis bietet ein junger Senegalese Computer mit Internetzugang an.

Wer unter "Senegal" durchs Web surft, stößt bald auf eine Gebrauchsanweisung für eine angeblich risikolose Flucht auf die Kanaren. Der Tipp an die Männer eines Dorfes: gemeinsam ein Boot mit gutem Motor und 50 Sitzplätzen kaufen. Inklusive Ausrüstung und Proviant schlage sich das pro Mann mit maximal 150 Euro zu Buche. Der beste Ort, um abzulegen, sei Saint Louis, Papiere dürften keine mitgeführt werden. Wer alle Sicherheitsvorkehrungen einhalte, könne sich bald Europäer nennen. (Verena Kainrath aus Dakar, DER STANDARD Printausgabe, 24.11.2007)