Lider zu - und durch. Matt Berninger und The National versuchen sich in Wien an kontrollierter Ekstase. Das kann nicht ganz gutgehen, ein paar der besten Popsongs unserer Tage fallen dabei dennoch ab.

Foto: Christian Fischer
Das Problem dabei: Es war fast immer dasselbe Lied.
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Wien - "Sold out as hell!" stand in der Village Voice über die vier Konzertabende von The National zu lesen, als die Band im Mai ihr aktuelles Album Boxer in New York präsentierte. Weit anreisen musste die fünfköpfige Gruppe dafür nicht: über die Williamsburg Bridge nach Downtown Manhattan - exakt eine Station.

Williamsburg, das Hipster-Grätzl Brooklyns, das mittlerweile so wirkt, als würden die dort wohnenden Menschen, die selbstverständlich alle wahnsinnig kreativ sind, schon mit Umhängetaschen und kunstvoll verlebter und gerade deshalb schicker Casual Mode geboren, gilt seit einigen Jahren als eine der Keimzellen für angesagte Popmusik. Aus dieser Kleinstadt in der Großstadt, deren "charme désolé" schwerst Richard-Linklater-Kulissen-verdächtig ist, kommen Formationen wie Liars, TV On The Radio - und eben The National.

Die Anreise in die Szene Wien, wo sie am Samstag gastierten, dauerte zwar entsprechend länger, "sold out as hell" war auch diese Show - und zwar seit fast zwei Monaten: "Wenn wir bisher in Wien gespielt haben, ist immer ein Zug über unseren Köpfen hinweg gefahren", erzählte Bassist Scott Devendorf und spielte damit auf die bisher in den kleineren Gürtel-Clubs abgehaltenen Shows an: "I guess we graduated", meinte er angesichts des ungleich größeren Saals. Das Publikum wurde vom betretenen, immer etwas verschnupft wirkenden Grundton der Musik von The National angezogen, der der prächtig knödelnde Bariton von Matt Berninger, der anfangs - ganz Williamsburg - im uncoolen und deshalb schon wieder coolen Flanellhemd übers Mikro gebeugt hängt und dort über ein Fake Empire sinniert. Trauerweiden

In diesem Tun klingen The National ein wenig wie die lebensfrohere Version der großartigen britischen Trauerweiden Tindersticks, deren Dramatik hier einer getragenen Dynamik weicht, die live sechsköpfig serviert wurde: Eine Geige für die Verzweiflung, die leider kaum hörbaren Tasteninstrumente für die Erhabenheit, die Gitarren für den Nachdruck, das Schlagzeug sowieso.

Das ist zwar alles zusammen ungefähr so neu wie ein alter Schuh, aber es fühlt sich verdammt gut an. Und so wie Berninger beständig ein wenig verkrampft und gestenunsicher am Mikro Halt sucht, das hat etwas Nachvollziehbares, etwas Lebensnahes. Weil: Wir würden uns auch alle ganz schön deppert anstellen, müssten wir da jetzt da vorneoben ran. Eben.

Stück um Stück löste sich diese echte oder empfundene Unsicherheit, und je heftiger und insistierender gespielt, das gut abgesicherte Terrain zugunsten einer etwas grimmiger bearbeiteten Gitarre verlassen wurde, gab sich auch Berninger den selbst erzeugten Stimmungen hin, einige Scherzchen inklusive.

Als künstlerische Produkte dieser Entwicklung fielen dabei ein paar der schönsten Popsongs ab, die man zurzeit hören kann. Vorausgesetzt, man geniest in Dosen. Denn bei aller Brillanz und Gefühlspipapo zeigte sich im Konzert schon auch, dass The National beständig am Stand treten - siehe: die ausgelatschten alten Schuhe.

Der Chronik des vom Saal oftmals aus voller Kehle mitgetragenen Gebotenen hätten einige Ausreißer gutgetan.

Ein paar Balladen allein taten es da auf voller Distanz nicht: Der Mikrofonständer gewöhnte sich an seine Misshandlung auch recht bald, und affig am Keyboard den Ausdruckstänzer zu geben, untergräbt die Authentizität eher, als es sie fördert. So wurde es schließlich ein schöner, aber kein großer Abend. Formal zu absehbar, dafür ohne Überraschungsmomente - sieht man einmal von den ziemlich kranken Fan-Schals am Merchandise-Stand ab. (Karl Fluch, DER STANDARD/Printausgabe, 26.11.2007)