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Ein Tuberkuloseimpfstoff, den Berliner Infektionsbiologen entwickelt haben, lässt hoffen

Foto: APA/dpa/Ralf Hirschberger
"Jede Minute, die wir uns hier unterhalten, sterben weltweit im Schnitt drei Menschen an Tuberkulose, zwei Kinder an Malaria, 17 weitere Kinder an Krankheiten, gegen die es Impfungen gäbe, und zehn Menschen stecken sich mit HIV an." Mit diesen Zahlen versucht Stefan Kaufmann regelmäßig bei öffentlichen Veranstaltungen aufzurütteln. Am Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie in Berlin arbeitet der Molekularbiologe an einem Impfstoff gegen Tuberkulose.

Trügerische Sicherheit

Mehr als acht Millionen Menschen erkranken jährlich an Tuberkulose (TBC), die meisten von ihnen in Afrika und Südostasien. In westlichen Ländern gilt TBC als Krankheit, die weitgehend unter Kontrolle ist. Die vermeintliche Sicherheit hält Kaufmann aber selbst hierzulande für trügerisch. Der infektiöse Tuberkuloseerreger, Mycobacterium tuberculosis, ist im Osten der EU, speziell den baltischen Staaten auf dem Vormarsch, und Krankheitserreger lassen sich durch keine noch so strengen Grenzkontrollen aufhalten. Zusätzlich verschärfend: Die Bakterien sind immer öfter gegen Antibiotika resistent.

Kaum mehr behandelbar

Während dies in reichen Ländern mit intaktem Gesundheitssystem zu einer Zunahme der Behandlungskosten zirka um das Hundertfache führt, bedeutet es für Menschen in Entwicklungs- und Schwellenländern meist das Todesurteil. Tuberkulose ist dort, wo sie am häufigsten ausbricht, kaum mehr behandelbar. Besonders hoch ist die Gefahr für HIV-positive Personen.

TBC und HIV

Die Weltgesundheitsorganisation WHO schätzt, dass ein Drittel aller Menschen weltweit den Tuberkulose-Erreger tragen. Nur bei fünf bis zehn Prozent davon wird er allerdings irgendwann so aktiv, dass sein Träger andere anstecken kann oder die Krankheit tatsächlich ausbricht. Das relativ geringe Risiko, bei einer Infektion mit TBC wirklich krank zu werden, steigt jedoch mehrmals um das Hundertfache, wenn sich die TBC-Infektion zu einer HIV-Infektion gesellt. In Subsahara-Afrika ist Tuberkulose die Haupttodesursache für Menschen, deren Immunsystem durch HIV geschwächt ist. Die beständige Zunahme der Tuberkulosefälle in Afrika seit 1990 ist laut WHO allein auf die Doppel- infektionen mit HIV zurückzuführen.

Tuberkulose, HIV/AIDS und Malaria - das sind die drei großen Seuchen, die global die meisten Opfer fordern. Gleichzeitig sind es, vielleicht mit Ausnahme von HIV/AIDS, die, bei denen die Industrie am schwierigsten für die Entwicklung neuer Impfstoffe zu begeistern ist, meint Stefan Kaufmann und bringt noch ein paar eindrucksvolle Zahlen.

Krasses Missverhältnis

"10:90-Ungleichgewicht" bei Investitionen - nur zehn Prozent der rund 100 Milliarden US-Dollar, die jährlich für Forschung und Entwicklung im Gesundheitsbereich ausgegeben werden, widmeten sich der Behandlung von 90 Prozent der weltweiten Krankenlast. Im Einzelnen bedeutet das zum Beispiel, dass von den rund 1400 Medikamenten, die im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts entwickelt wurden, knapp zweihundert der Behandlung von Herz-Kreislauf-Krankheiten dienen - für Tuberkulose gab es drei neue Mittel und für Malaria vier.

Hoffnung: Neuer Impfstoff

Die sogenannten Armutskrankheiten warten auf neue Arzneien - und auf frisches Geld dafür. Aktuell Hoffnung birgt ein Impfstoff, den die Berliner Infektionsbiologen entwickelt haben. Sie haben den schon lange bekannten, aber eher schwachen Tuberkuloseimpfstoff BCG gentechnisch so verändert, dass er eine viel stärkere Immunantwort hervorruft und damit besser und dauerhafter vor einer Infektion schützt. Im Tiermodell funktioniert die neue Impfung, Anfang 2008 sollen die klinischen Studien am Menschen beginnen.

Die Arbeit daran wurde zu einem großen Teil von der Bill and Melinda Gates Stiftung finanziert. Im Jahr 2000 hat Bill Gates die Stiftung mit seiner Frau ins Leben gerufen. Bis Ende September 2007 sind insgesamt 14,4 Milliarden Dollar in globale Entwicklungs- und Gesundheitsprojekte geflossen - unter anderem eben in die Erforschung und Entwicklung von Impfstoffen gegen Tuberkulose, Malaria und HIV.

Zwei-Preise-System

Selbst wenn alles nach Plan verläuft - einen wirksam vorbeugenden Tuberkuloseimpfstoff entwickelt zu haben allein reicht jedoch noch nicht, mahnt Stefan Kaufmann. Er muss dann auch in großen Mengen produziert und dorthin gebracht werden, wo er gebraucht wird. "Wahrscheinlich brauchen wir ein Zwei-Preis-System, der Impfstoff muss in Entwicklungs- und Schwellenländern billiger sein. Und man muss für einen gesicherten Markt sorgen, also dafür, dass Regierungen Pharmafirmen einen Absatz für große Mengen Impfstoff zusichern."

Mit diesen Maßnahmen ließe sich die Industrie für die Impfstoffproduktion gewinnen, ist der Spezialist überzeugt - und er wirbt für einen "Marshall-Plan" für die am stärksten betroffenen Staaten der Erde: "Das Geld, das diese Länder der Weltbank schulden, sollte in Gesundheitsprogramme umgewidmet werden. Das wären bei den 60 ärmsten Ländern dieser Welt insgesamt immerhin mehr als 500 Milliarden Dollar." (DER STANDARD, Printausgabe, Birgit Dalheimer, 26.11.2007)