In Wien werden zu schnell Genehmigungen für neue Shoppingmalls erteilt, kritisiert Raumplaner Rainer Seiß.

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Shoppingcenter üben auf Wiener nach wie vor eine besondere Anziehungskraft aus. In keinem anderen Bundesland ist die Einkaufszentrumsdichte so hoch wie in der Bundeshauptstadt. Auf einen Stadtbewohner kommen derzeit 25 Quadratmeter Shoppingmall – Tendenz steigend. An sämtlichen neuen Bahnhöfen, die in den nächsten Jahren in Wien gebaut werden sollen, entstehen neue Einkaufsflächen. 60.000 Quadratmeter sind derzeit insgesamt geplant. Da ist das gigantische Shoppingmall-Projekt, das Frank Stronach in Rothneusiedl verwirklichen will, noch gar nicht mit eingerechnet.

Harte Konkurrenz für die 100 Wiener Einkaufsstraßen. Zumal ein Gutteil der auf kleineren Konsummeilen angesiedelten Geschäfte bereits jetzt ums Überleben kämpft. Die Wirtschaftskammer fordert deshalb finanzielle Anreize für Unternehmen, die sich in Stadtzentren ansiedeln sowie eine gemeinde- und bundesländerübergreifende Standortpolitik. Auch Raumplaner Reinhard Seiß wünscht sich strengere Regeln. "In Wien herrscht bei Genehmigungen für neue Shoppingcenter eine Laisser-faire-Haltung vor. Andere Bundesländer sind da viel strenger." Für die Wiener Planungspolitik sei der Umstand, dass es bereits ein Überangebot an Einkaufszentren gibt, "leider kein Anlass, die weitere EKZ-Entwicklung einzuschränken".

Andrang in Grenzen

In manchen Malls hält sich der Andrang von kaufwilligen Wienern tatsächlich in Grenzen. Die Gasometer City in Simmering zum Beispiel ist seit ihrer Eröffnung ein Sorgenkind, eine ganze Reihe von Geschäftslokalen steht leer. Mit 20.000 Quadratmetern gehört das Einkaufszentrum am südlichen Stadtrand zu den mittelgroßen – laut einer Studie der auf Standortanalysen spezialisierten Beraterfirma Regioplan eine nicht unproblematische Größe: Zu groß, um sich auf die Versorgung vor Ort zu beschränken, und zu klein für eine überregionale Bedeutung, ist es für diese Malls schwierig, sich gegenüber der Konkurrenz durchzusetzen. Um über Bezirks- oder Stadtgrenzen hinweg Magnetwirkung zu erlangen, sind laut Regioplan mindestens 25.000 Quadratmeter nötig. Dennoch werden in Wien laufend neue mittelgroße Einkaufstempel gebaut – zuletzt das Stadioncenter im Prater.

Die Idee einer durchdesignten Einkaufsstadt stammt ursprünglich vom Wiener Architekten Viktor Gruen. Anfang der 1950er ließ er nahe Detroit die erste Mall der Welt bauen. Der mit einer Reihe von Kultureinrichtungen ausgestattete Einkaufstempel sollte auch als Zentrum im suburbanen Raum fungieren. Die Wiener haben aber ohnehin alles vor der Nase, was sie so brauchen. In den letzten Jahren scheinen immer mehr Stadtbewohner ihre eigenen Grätzeln als "Einkaufszentren" wiederzuentdecken. Einige Gemüsemärkte boomen jedenfalls. Und ein paar neue Greißler – zum Beispiel in der Leopoldstadt und in Ottakring – gibt's auch schon. (Martina Stemmer/DER STANDARD – Printausgabe, 13.11.2007)