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Wie schon im Jahr 2005 gingen zahlreiche Autos in Flammen auf.

REUTERS/Charles Platiau

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In der Nacht auf Dienstag wurden Dutzende Polizisten verletzt, fünf davon schwer.

Foto: AP Photo/Thibault Camus
Paris/Villiers-le-Bel - Nach dem Unfalltod zweier Jugendlicher im Norden von Paris, in den die Polizei verwickelt war, haben sich die Unruhen in den französischen Vorstädten ausgeweitet. Dabei wurde in der Nacht auf Dienstag auch scharf auf die Polizei geschossen. "Ein Polizist wurde von einer großkalibrigen Kugel an der Schulter verletzt", teilte die Direktion für öffentliche Sicherheit des Departements Val d'Oise nach Medienberichten am Dienstag mit. Mehrere andere Beamte wurden von Schrotgeschoßen verwundet. Augenzeugen berichteten, Randalierer hätten Jagdgewehre in der Hand gehalten.

Insgesamt wurden bei den nächtlichen Ausschreitungen 82 Polizisten verletzt, davon fünf schwer, wie die Behörden am Dienstag mitteilten. In Villiers-le-Bel, wo sich der tödliche Verkehrsunfall am Sonntag ereignet hatte, setzten Jugendliche Dutzende Autos und fünf Gebäude in Brand. In fünf weiteren Vororten hätten sie mit Baseballschlägern, Brandsätzen und Säurebomben gegen Beamte gekämpft.

Krawalle weiten sich aus

Nach ersten Krawallen in Villiers-le-Bel weiteten sich die Unruhen bis zum Dienstag auf die Nachbargemeinden Ermont, Cergy, Goussainville, Sarcelles und Garges-les-Gonesse aus. Die Randalierer steckten mehr als 70 Autos und öffentliche Gebäude in Brand, darunter eine Bibliothek, wie die Präfektur mitteilte. Sechs Personen wurden festgenommen. Erstmals überflog ein Hubschrauber den Vorort, um Unruhestifter aufzuspüren, wie Augenzeugen berichteten. Auch im Departement Essonne im Süden von Paris setzten Jugendliche einen Stadtbus und einen Lastwagen in Brand.

Krisentreffen am Mittwoch

Premierminister Francois Fillon besuchte nach den Ausschreitungen am Dienstag den Problemvorort Villiers-le-Bel. Präsident Nicolas Sarkozy setzte für Mittwochvormittag - nach seiner Rückkehr aus China - ein Krisentreffen mit mehreren Ministern an und lud auch die Eltern der beiden am Sonntag getöteten Jugendlichen zu einem Gespräch ein.

Sarkozys Sprecher David Martinon sagte, der Präsident habe Innenministerin Michele Alliot-Marie am Telefon verschiedene "Ratschläge" in Hinblick auf die Straßenschlachten erteilt. Im Jahr 2005 hatte Sarkozy als Innenminister angekündigt, die Vorstädte "mit dem Kärcher (Hochdruckreiniger) vom Gesindel zu befreien". Der Soziologe Laurent Mucchielli erklärte der Tageszeitung "Le Parisien", die neuerlichen Unruhen zeigten das Scheitern von Sarkozys Sicherheitspolitik. "In den Vierteln hat es seit zwei Jahren keine Fortschritte gegeben. Weder objektiv noch in der Wahrnehmung der Einwohner."

Straßenschlachten in der Nacht auf Dienstag

In der Nacht auf Dienstag lieferten sich Jugendliche aus den nördlichen Pariser Vororten rund sechs Stunden lang Straßenschlachten mit den Einsatzkräften, wie die Polizei mitteilte. In Villiers-le-Bel hätten sie sich hinter Mülltonnen verschanzt und die Polizei mit Steinen und Molotow-Cocktails angegriffen.

Mehrere Polizisten seien durch Schrotladungen verletzt worden. Durch das Auftauchen von Waffen sei die Lage "schlimmer als 2005", sagte der Chef der Polizeigewerkschaft Synergie, Patrice Ribeiro, unter Verweis auf die wochenlangen Jugendkrawalle vor zwei Jahren. Es könne "zu Dramen kommen", wenn die Polizei gegen Bewaffnete vorgehe. Augenzeugen berichteten, Randalierer hätten Jagdgewehre in der Hand gehalten. In den vergangenen zwei Tagen zählte die Polizei deutlich mehr als 100 verletzte Beamte, bei den Krawallen 2005 waren täglich im Schnitt nur 15 verletzt worden.

Friedlicher Schweigemarsch

Am Montagabend hatten mehrere hundert Menschen bei einem friedlichen Schweigemarsch der beiden Jugendlichen gedacht, die bei einem Zusammenstoß ihres Minimotorrades mit einem Polizeiwagen ums Leben gekommen waren. Der Tod der 15 und 16 Jahre alten Burschen hatte schon am Sonntagabend zu gewaltsamen Ausschreitungen geführt, bei denen 40 Polizisten verletzt wurden. In Erwartung der Ausschreitungen hatten Autohändler schon untertags Neuwagen abtransportieren lassen. Supermärkte hatten geschlossen.

Die Staatsanwaltschaft ermittelte nach dem tödlichen Verkehrsunfall wegen fahrlässiger Tötung und unterlassener Hilfeleistung gegen die Polizei. Zeugen hätten aber bestätigt, dass die beiden Jugendlichen "vergleichsweise schnell" mit ihrem Minibike gefahren seien, sagte Staatsanwältin Marie-Therese de Givry am Montag.

Vorwürfe

Gegen die am Unfall beteiligten Beamten wird routinemäßig wegen fahrlässiger Tötung sowie wegen unterlassener Hilfeleistung ermittelt. Innenministerin Michèle Alliot-Marie forderte die volle Aufklärung des Unfallhergangs. Die Hinterbliebenen der Jugendlichen riefen zur Ruhe auf. Der Streifenwagen sei ohne Blaulicht normal unterwegs gewesen. Einwohner von Villiers-Le-Bel bezweifeln diese Version. Zudem werfen Einwohner den Polizisten vor, sich nicht sofort um die Unfallopfer gekümmert zu haben. Die ermittelnde Staatsanwaltschaft bescheinigt den Polizisten jedoch, sich nach dem Unfall korrekt verhalten zu haben. Das werde von Augenzeugen und den Notärzten der Feuerwehr bestätigt.

Unter Berufung auf die Polizeiaufsicht hieß es in Polizeikreisen, die Burschen hätten mit ihrer Minicrossmaschine den Vorrang missachtet; die Polizisten im Streifenwagen hätten den Unfall deshalb nicht verhindern können. Nach Angaben von Augenzeugen trugen die Jugendlichen keinen Helm, ihre Rennmaschine hatte kein Licht und war nicht für den Straßenverkehr zugelassen.

Unruhen 2005

Vor zwei Jahren war es nach dem Tod zweier Teenager während einer Verfolgungsjagd der Polizei zu den schlimmsten Unruhen seit 40 Jahren gekommen. Über mehrere Wochen hinweg wurden von wütenden Jugendlichen in zahlreichen Städten des Landes jede Nacht Hunderte Autos in Brand gesteckt und öffentliche Gebäude verwüstet. (APA/dpa/Reuters)