Mehr Fotos aus Burma zeigt diese Ansichtssache.

Foto: Knut Rakus

Anfang Oktober 2007 berichteten Medien auf der ganzen Welt über die blutige Tragödie in Burma. Auslöser dafür waren friedliche Demonstrationen buddhistischer Mönche für mehr Demokratie und Freiheit. Die Kundgebungen wurden vom Militär brutal niedergeschlagen, es kam zu zahlreichen Verhaftungen, tausende Menschen wurden getötet. Die Frage, ob man dieses Land als Tourist besuchen soll, beleuchten die Pro/Contra-Kommentare im STANDARD von Eric Frey und András Szigetvari. Knut Rakus war dort und berichtet von seinen Erfahrungen und Eindrücken aus einem Land, in dem man kaum hinter die Fassaden sehe kann und Überwachung und Kontrolle permanente Begleiter sind.
Mehr Informationen zu Burma gibt es im Channel Politik, International.

 

 

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Der erste Eindruck erinnert an Indien, der zweite auch. Doch schon bald erkennt der Besucher typisch „burmesische“ Eigenheiten (so etwa den Longi, das traditionelle Kleidungsstück oder die Gesichtsbemalung Tanaka). Burma war das achte Land, welches wir auf unserer 20.000 Kilometer Überlandreise durch Asien bereist haben (siehe route.knutrakus.com).

 

Klimaerwärmung

Die Landgrenzen sind für Touristen zwar an wenigen Stellen offen, eine Weiterreise ins Hinterland war zum Zeitpunkt unseres Besuches aber nicht möglich. Mit dem Flugzeug aus Bangkok in Rangun angekommen, fallen sofort starke Gegensätze zum eben verlassenen Moloch Bangkok auf. Alles ist ruhiger, gemächlicher. Zu Fuß gehen wir vom Flugzeug in die Zollhalle. Weit weg ist das klimatisierte Bangkok, hier schwitzen wir in einer überfüllten Halle, in der sich lediglich ein paar lahme Ventilatoren drehen. Dementsprechend langsam auch der Einreiseprozess. Später, als wir am Förderband auf unser Gepäck warten, dauert es eine Ewigkeit bis sich dieses ächzend und schleppend in Bewegung setzt. Aber zu diesem Zeitpunkt haben wir uns schon an das Tempo gewöhnt, genießen den Augenblick und schwelgen in Neugier, wie wohl Burma „ist“ – und natürlich auch „isst“ - denn die verschiedenen kulinarischen Strömungen in Asien genießen wir in vollen Zügen.

Als wir den Flughafen hinter uns lassen, umschließt uns sofort eine freudige Menge an Taxifahrern und sonstigen „friends“, deren Hilfsbereitschaft keine Grenzen zu kennen scheint und die in ihren mikro-unternehmerischen Tätigkeiten so typisch für Asien sind. Bei der Fahrt in die Stadt wird der gefühlte Gegensatz zu Thailand noch deutlicher. Materieller Reichtum, wie er beim Nachbarn sichtbar ist, ist hier nicht zu sehen. Dies ist bedingt durch die jahrelange Autarkie in die die Militärregierung das Land getrieben hat. Man stelle sich ein Land vor, das in den letzten Jahrzehnten kaum Kapitalgüter importiert hat und nahezu kein Know-how. Der technische Stand bei Maschinen, Verkehrsmitteln, Gebäuden etc. ist teilweise veraltet und sie werden benutzt bis es einfach nicht mehr geht. Der Kreativität bei der Instandhaltung ist keine Grenze gesetzt. Schon auf den ersten Metern in der ehemaligen Hauptstadt Burmas wird klar, dass wir in den nächsten Wochen mit Verkehrsmitteln konfrontiert sein werden, die man bei uns nur mehr im Museum bestaunt.

Almosen sammeln als Pflicht

Die ersten Tage in Rangun verbringen wir mit der Entdeckung der Stadt und ihrer Bewohner. So wie in vielen Ländern Asiens spielt sich das Leben größtenteils auf der Straße ab. Das bei uns hoch gehaltene Konzept von Privatsphäre scheint es auch hier nur vermindert zu geben. Wir essen an Straßenständen, wandern durch Märkte, setzen mit der öffentlichen Fähre auf das andere Ufer des Irrawaddy über und verbringen viel Zeit in der Shwedagon Pagode. Dies ist einer jener Orte Asiens, an denen ein starker Energiefluss spürbar ist. Hier wird offenbar, welche Rolle Religion im Alltag der Burmesen spielt und welche Kraft und Sicherheit sie daraus schöpfen. Das Mönchstum ist neben der Armee der am besten organisierte Akteur in der burmesischen Gesellschaft. Fast jeder Burmese und viele Burmesinnen verbringen einen Abschnitt ihres Lebens im Kloster. Der Einfluss der Religion auf die Gesellschaft beginnt am Morgen, wenn die Mönche im ganzen Land durch die Straßen ziehen, um Almosen von den Gläubigen zu sammeln.

Freiheit bis zum Sperrgebiet

Vor die Wahl des Transportmittels in Burma gestellt, gibt es einige Varianten: Package-Touristen grasen in Herden die zwei bis drei wichtigsten Sehenswürdigkeiten per Flugzeug ab und sehen so von „Burma“ so viel wie ein Varadero-Besucher von Kuba. Die öffentliche Infrastruktur, Straßen, Busse und Züge hat der Zahn der Zeit sprichwörtlich zernagt. Außerhalb der Hauptstadt sind Straßen eher staubig holprige Pisten, vor allem in der Regenzeit, muss man oft Flüsse nach Durchquerungsmöglichkeiten absuchen.

Die Einheimischen benutzen meist herkömmliche Verkehrsmittel, meistens Ochsenkarren. Ihre Mobilität ist generell, vor allem wegen fehlender staatlicher Investitionen, gering. Wir entscheiden uns zu viert eines der Taxis von Rangun für eine mehrwöchige Rundreise durchs Land zu mieten. So ist der Reisende, frei in der Entscheidung über das Wann, Wo und Wohin (außer in militärischen Sperrgebieten, die es wegen der schwelenden Konflikte mit diversen ethnischen Minderheiten gibt).

Ein Blick hinter die Kulissen der Sehenswürdigkeiten ist also sichergestellt. Die Kosten hierfür betragen, je nach Verhandlungsgeschick, ca. 10 US-Dollar pro Person und Tag. Dollar deshalb, weil diese Währung in Burma immer noch den Stellenwert hat, dem sie weltweit derzeit nachweint. Der offizielle Wechselkurs zum burmesischen Kyat war zum Zeitpunkt unseres Besuchs ein Bruchteil des Schwarzmarktkurses.

Außerhalb Ranguns wird die Armut noch stärker sichtbar. Zwar strömen immer mehr Touristen ins Land, doch von wirklichen Reformen, die auch die Bevölkerung am Dollarsegen teilhaben lassen, ist wenig zu sehen. Außerdem führen immer noch einige Minderheiten im Norden kriegerische Auseinandersetzungen mit der Militärjunta, die diese neuerdings unter dem Deckmantel der Bekämpfung von Drogenhandel mit US Militärunterstützung bekämpft.

Berater mit dem sechsten Sinn

Ein amüsantes Detail: Eines Tages sagte ein Wahrsager dem damaligen Machthaber Ne Win voraus, bei einem Verkehrsunfall auf der linken Straßenseite zu Tode zu kommen. Als Überbleibsel der britischen Kolonialherrschaft herrschte in Burma seit der Unabhängigkeit 1948 Linksverkehr. Ne Win nahm diese dunkle Vorhersagung zum Anlass und erließ ein Dekret, welches den Verkehr von einem Tag zum anderen auf Rechtsverkehr umstellte. Dieser gilt bis heute. Aufgrund der Tatsache, dass seit Anfang der 1960er kaum neue Autos importiert wurden, sieht man heute noch viele rechts-gesteuerte Fahrzeuge in Burma.

Ne Win sah sich als Vater aller Burmesen und definierte seinen eigenen burmesischen Weg zum Sozialismus. Dieser Weg entpuppte sich als eine Mischung aus sozialistischer Planwirtschaft, buddhistischen Lehren, rigorosen Überwachungsmechanismen und einer großen Portion okkultem Wissen. Wahrsager hatten einen großen Einfluss auf Ne Win, was sich auch am folgenden Beispiel zeigt: Als die Folgen der desaströsen Wirtschaftspolitik immer mehr ihre Wirkung zeigten, die erwarteten Produktionsmengen nicht erreicht wurden und die Inflation nicht mehr zu kontrollieren war, handelte Ne Win abermals auf Anraten eines Wahrsagers drastisch und erklärte mehrere Nominationen der Nationalwährung Kyat für ungültig und ließ neue Scheine mit Werten, die durch 9, seine Glückszahl, teilbar waren, drucken. Fantastisch, aber wahr.

Das Entsetzen der Bevölkerung, die von heute auf morgen einen Grossteil ihrer Sparguthaben verlor, ist nachvollziehbar. 1981 trat Ne Win nach knapp 20 Jahren Herrschaft für viele überraschend zurück und übertrug die Macht einer Gruppe ausgesuchter Generäle, deren Aufgabe es war Burma wieder zurück zu einem demokratischen Staat zu transformieren. Ein erster Schritt sollte die Erstellung einer neuen Verfassung sein. An dieser wird bis heute gearbeitet.

Staatstragende Überwachung

1988 bildeten führende Oppositionelle die Nationale Liga für Demokratie. Mitgründerin war die spätere Friedensnobelpreisträgerin und Tochter des Nationalhelden Aung San, Aung San Suu Kyie. Die Liga fordert seit damals die Abhaltung freier Wahlen, die Aufhebung der vielen Überwachungsmechanismen, den Rückzug des Militärs aus Politik und Alltag. Viele ihrer Mitglieder wurden seither wegen politischen Tätigkeiten mit langjährigen Gefängnisstrafen bedacht. Seit damals ist die Militärpräsenz im Land massiv gestiegen und auch im Alltag stärker sichtbar. Aung San Suu Kyie wurde noch im Juli 1989 unter Hausarrest gestellt, der bis heute - mit kurzen Unterbrechungen - andauert. Sie erklärte, Burma trotz Einladungen aus dem Ausland, aber auch vom herrschenden Regime, nicht zu verlassen. Aung San Suu Kyie ist die wohl sichtbarste Vertreterin der Interessen des unterdrückten burmesischen Volkes. Für ihre Bemühungen wurde sie 1991 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.

Wahl ohne Konsequenz

1989 wurde Burma in “Union of Myanmar” umbenannt. 1990 fanden die ersten freien Wahlen seit 30 Jahren unter Ausschluss der Weltöffentlichkeit statt. Die Liga für Demokratie gewann die Wahlen mit einer überwältigenden Mehrheit, doch schon bald danach ruderte das Regime zurück. Die Wahlen, so die offizielle Erklärung seien keineswegs Wahlen zur Bildung einer neuen Regierung gewesen, vielmehr sollten sie dazu dienen die Besetzung einer Volksversammlung zu bestimmen, die dann an einem Verfassungsentwurf arbeiten sollte. Sobald es dann eine Verfassung gebe, würden “echte” Wahlen abgehalten werden.

Wer hier an einen Etappensieg denkt irrt, denn die Zusammensetzung der verfassungsgebenden Versammlung spiegelt keinesfalls das Wahlergebnis wieder. Die jüngsten Demonstrationen sind eine weitere, verzweifelt Reaktion der Bevölkerung auf die Wirtschaftspolitik der Militärregierung. Unlängst schloss die Regierung Burmas einen Deal mit mehreren internationalen Ölkonzernen ab, der die Erschließung von Ölfeldern in der Andamanensee, sowie den Bau einer Pipeline nach Thailand bzw. China beinhaltet. Ob das dabei verdiente Geld bis zur Bevölkerung durchsickert und ob dringend notwendige Infrastrukturprojekte in die Tat umgesetzt werden, wird die Zeit zeigen. Weiters unterhält China einige Militärbasen an der Andamensee. Das Interesse an einer stabilen Regierung in Burma seitens Chinas ist dementsprechend groß.

Burma abseits der Touristenpfade

Unsere Reise durch Burma führt uns, neben den großen, in jedem Reisebürokatalog beschriebenen Sehenswürdigkeiten (Bagan, Mandalay, Inle See) zu Dörfern, Tempeln und Märkten abseits des ausgetretenen Touristenpfades. Auf diese Weise gelang es uns, einen tieferen Einblick in dieses faszinierende Land und seine wunderbaren Bewohner zu erlangen.

Die Entscheidung über eine Reise nach Burma sollte für jeden auch ethisch-moralische Komponenten beinhalten. Die Militärregierung betreibt im ganzen Land Hotels und auch viele Eintrittsgelder wandern direkt in die Taschen der Funktionäre. Doch mit etwas Aufwand gelingt es Besuchern, Geld direkt der Bevölkerung zufließen zu lassen. Private Guesthouses finden sich, natürlich mit anderen Standards als die staatlichen Hotels, im ganzen Land. Essen abseits von staatlichen Restaurants mit dem Charme einer Autobahnraststätte in Weißrussland, gibt es an jeder Ecke, vor allem auf den vielen wunderbaren Märkten, die immer einen Besuch wert sind, spielt sich doch dort das Leben mit teils berauschender Intensität ab. Für uns waren dies Überlegungen, die uns zu einer Reise nach Burma motivierten. Außerdem tragen wir, auch mit Artikeln wie diesem, Informationen über Burma in die Welt und geben durch unsere Präsenz den Burmesen das Gefühl nicht gänzlich von der Welt abgeschottet zu sein.

Burma ist ein faszinierendes Reiseziel und bietet für den neugierigen Besucher die Möglichkeit einer intensiven Auseinandersetzung mit einem kulturell unermesslich reichen Land und seiner wunderbaren Bevölkerung. (Knut Rakus)