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Helmholtz-Chef Jürgen Mlynek sieht für die österreichische Forschung nur eine Chance: Man müsse internationale Spitzenforscher heranziehen, wie es die ETH Zürich in der Schweiz gemacht hat.

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Der Physiker Jürgen Mlynek leitet die Helmholtz-Gemeinschaft, das Dach der deutschen Großforschung. Stefan Löffler sprach mit ihm über die Erfolgsfaktoren der Grundlagenforschung und die Vernetzung außeruniversitärer Forschung mit Unis.

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STANDARD: Nun wird gejubelt, Deutschland sei doch Spitze in der Forschung. Die mit den Nobelpreisen an den Physiker Grünberg und den Chemiker Gerhard Ertl ausgezeichneten Leistungen liegen aber zwanzig, dreißig Jahre zurück.

Mlynek: Große Auszeichnungen haben immer einen Vorlauf. Beide Bedingungen, nämlich dass es zu einem völlig neuen Arbeitsgebiet in der Wissenschaft geführt und dass es praktische Anwendungen hat, sind bei der Entdeckung, die Grünberg und der Franzose Fert unabhängig voneinander gemacht haben, besonders gut erfüllt: Die Nanoelektronik oder Spintronik geht mit auf die Entdeckung des Riesenmagnetowiderstands zurück. Und wir haben Produkte, die die Datenspeicherung in Computern revolutioniert haben. Grundlagenforschung braucht einen langen Atem. Nobelpreisträger kann man nicht backen. Man kann nur über Jahrzehnte den guten Wissenschaftern alle Entfaltungsmöglichkeiten geben.

STANDARD: Sie waren mit Bundeskanzlerin Angela Merkel in Indien. Vor Indien waren Sie in Israel und Polen. Was ist der Zweck Ihrer Wissenschaftsdiplomatie?

Mlynek: Die internationale Einbindung ist im Grunde die Basis für unsere Arbeit, weil wir weltweit einzigartige Forschungsgeräte betreiben. An die Helmholtz-Zentren kommen jedes Jahr 4000 bis 5000 Gastwissenschafter, und damit meine ich nicht Leute, die einen Vortrag halten, sondern die mehrere Tage oder Monate bei uns bleiben. Wir bauen derzeit zwei neue Großgeräte, den Röntgenlaser XFEL in Hamburg und einen Beschleuniger für Ionen- und Antiprotonenstrahlen in Darmstadt, um die wir international eine Scientific Community aufbauen, die wir auf die Nutzung der Geräte vorbereiten müssen.

STANDARD: Sagen Sie im Ausland offen, dass Sie die besten Spezialisten weglocken wollen?

Mlynek: Das geschieht ja im Interesse der ausländischen Kooperationspartner, die sich finanziell am Bau dieser Großgeräte beteiligen und dann auch mitforschen möchten. Bei beiden Projekten zahlt Deutschland 75 Prozent, aber 25 Prozent werden international aufgebracht.

STANDARD: Die EU beklagt einen Braindrain nicht mehr nur in die USA, sondern auch nach Asien. Verliert Europa den Kampf um die jungen Forschungstalente?

Mlynek: Das sehe ich überhaupt nicht so. Wir brauchen Mobilität. Wichtig ist, dass die guten Leute nach Europa zurückkommen. Alle deutschen Forschungsorganisationen haben in den letzten zehn Jahren attraktive Programme aufgelegt. Viele, die sonst Assistenzprofessor in den USA geworden wären, kehren jetzt mit Anfang dreißig nach Deutschland zurück, um hier eine eigenständige Forschungsgruppe aufzubauen.

STANDARD: Die in der Helmholtz-Gemeinschaft verbundenen Einrichtungen sind alle sehr groß. Wofür brauchen sie ein gemeinsames Dach?

Mlynek: Mit unserer wissenschaftlichen Infrastruktur und unserem Know-how können wir eine kritische Masse erzeugen, mit der wir mehr erreichen als einzelne auf sich gestellte Institute. Wir verfolgen unsere Programme zentrenübergreifend in strategischen Partnerschaften mit Universitäten und geeigneten wissenschaftlichen Einrichtungen im Ausland.

STANDARD: Sie haben reichlich Gestaltungsspielraum: Als Präsident verfügen Sie über 58 Millionen Euro jährlich.

Mlynek: Diesen Impuls- und Vernetzungsfonds müssen Sie in Relation zum Gesamthaushalt von zwei Milliarden sehen. Damit finanzieren wir Hochschul-Nachwuchsgruppen, um an Diplomanden und Doktoranden zu kommen. Außerdem virtuelle Institute, wo Helmholtz-Zentren mit Universitäten im In- und Ausland kooperieren. Oder eine Spur größer, nämlich mit je fünfzig Millionen Euro über fünf Jahre ausgestattet, die Helmholtz-Allianzen.

STANDARD: Sie haben sich entschieden für den Albtraum vieler Wissenschafter, nämlich nur noch Verwaltung zu machen.

Mlynek: Das war in meinem Leben nicht vorgesehen. Es gibt den Satz von Dürrenmatt: Wer am meisten plant, den trifft der Zufall am härtesten. Fünfzig vom Alter her war für mich ein Zeitpunkt, nach einer erfolgreichen Zeit als Wissenschafter noch zehn, fünfzehn Jahre anderes zu tun.

STANDARD: Was halten Sie davon, Wissenschaftsmanager auszubilden?

Mlynek: Hier gibt es ein klares Defizit. Bei vielen unserer fünfzehn Helmholtz-Zentren steht ein Generationswechsel an. Die Zahl der geeigneten Kandidaten ist außerordentlich klein, zu klein. Wir müssen diejenigen, die in Zukunft mehr Verantwortung übernehmen können und dann vielleicht auch wollen, früher an diese Aufgaben heranführen. Das machen wir im Rahmen der Helmholtz-Führungsakademie, die gerade ihre Arbeit aufgenommen hat.

STANDARD: Muss ein Wissenschaftsmanager Wissenschafter gewesen sein?

Mlynek: Es ist ausgesprochen hilfreich. Man muss auch klare Vorstellungen haben über die zukünftige Entwicklung einer Institution, darf sich dabei aber nicht unnötig verkämpfen. Man muss offen bleiben für gute Argumente und eigene Vorstellungen infrage stellen. Nur wer offen diskutiert, kann alle auf einen gemeinsamen Weg mitnehmen. Man kann aber nicht Everybody’s Darling sein.

STANDARD: Wo sind die Unterschiede zu einem Manager eines gleich großen Wirtschaftsunternehmens?

Mlynek: Da gibt es keine. Ich traue mir auch durchaus zu, ein Unternehmen zu leiten.

STANDARD: Wo ist der Shareholder-Value bei der Helmholtz-Gemeinschaft?

Mlynek: Der ist anders als bei einer Uni oder Siemens. Bei Helmholtz geht es um Großforschung im nationalen Auftrag und um Transfer in Wirtschaft und Gesellschaft. Unser Shareholder ist die Öffentlichkeit.

STANDARD: Was kann ein Land wie Österreich tun, um in der Forschung mitzuhalten?

Mlynek: Da wird es schwierig sein, die kritische Masse für die Großforschung zusammenzubringen. Kleine Länder sollten auf herausragende Persönlichkeiten setzen. Ein Beispiel ist die ETH in Zürich, wo der Anteil ausländischer Hochschullehrer über fünfzig Prozent beträgt. Ein kleines Land muss international rekrutieren und sich international positionieren, damit es im Wettbewerb nicht abfällt. (DER STANDARD, Printausgabe, 28.11.2007)