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Aufgebrachte Jugendliche setzten bei den Straßenschlachten Fahrzeuge jeder Größe in Brand.

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Die Randalierer schossen auch mit Gewehren auf Polizisten.

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Sarkozy kündigte an, mit Härte gegen die Randalierer vorgehen zu wollen.

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Paris steht vor den schwersten Jugendkrawallen seit 2005. Nach dem tödlichen Unfall zweier Jugendlicher mit Migrationshintergrund, in den die Polizei verwickelt war, toben immer mehr Straßenschlachten in den Vororten. Die Regierung ist, vorerst eher erfolglos, um Beruhigung bemüht.

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Am meisten verblüfft sind wohl die 30.000 Einwohner selbst: Das gesichtslose Villiers-le-Bel galt so gar nicht als „heißer“ Ort in der französischen Banlieue-Geographie. Bis am Sonntag ein Polizeiwagen mit einem Mini-Mofa zusammenstieß und dessen zwei helmlos rasende Teenager getötet wurden. Seither ist in den Einwandererquartieren von „Villiers-dem-Schönen“ die Hölle los. Die Avenue „8. Mai 1945“, die an das Ende des Zweiten Weltkrieges erinnert, ist seit Sonntag Schauplatz heftigster Zusammenstöße zwischen jugendlichen Randalierern und der Polizei.

Im Recycling-Stand holen sich vermummte Jugendliche Flaschen, füllen sie mit Benzin und Lumpen und werfen sie unter Autos und auf die Reihen schwergeschützter Bereitschaftspolizisten. Steine fliegen hinterher, gefolgt von provozierenden Rufen gegen die „keufs“ (Umkehr-Slang für Flics) oder schlicht die „porcs“ (Schweine). „Wir werden sie umlegen“, rufen kaum Zehnjährige.

Während sich die schweigende Ortsmehrheit der Einfamilienquartiere hinter zugenagelten Fenstern verschanzt, spielen sich bei den zehnstöckigen Wohnsilos erstaunliche Szenen ab: „Los, Brüder“, spornen ältere Bewohner die Randalierer an, wenn sie ihr eigenes Auto in Sicherheit gebracht haben. Von einem Balkon wirft eine Frau einen Eimer Wasser auf Jugendliche, damit ihre von Tränengas geröteten Augen auswaschen. Die Polizei schießt darauf auch Tränengas auf die Balkone, wo mit dem Wurf diverser Objekte geantwortet wird.

Der Aldi-Supermarkt, die Bibliothek Louis-Jouvet, ein Coiffeur-Salon und eine Autofahrschule werden gebrandschatzt und geplündert. Die meisten Banlieue-Kids sind wie schon bei den Krawallen 2005 mit Schlagstöcken aus Holz oder Eisen bewaffnet, die sie sich von Baustellen geholt haben. Aber einige präsentieren hinter den Barrikaden auch stolz Jagd- und Schrotflinten. Das ist neu. Und die „keufs“ werden direkt ins Visier genommen. Mehr als 80 verletzte Polizisten wurden am Dienstag in Spitalpflege gebracht; ein halbes Dutzend gilt als schwer verletzt.

Aufruhr „organisiert“

In Paris heizt Innenministerin Michèle Alliot-Marie mit ungeschickten Äußerungen die Atmosphäre an, als sie behauptet, der Aufruhr sei „organisiert“. Ihre vermutlich zutreffende Behauptung, den Streifenwagen träfe bei dem Unfall keine Schuld, verpuffen ungehört. Ebenso der Appel von Staatspräsident Nicolas Sarkozy aus China: „Ich möchte, dass sich alle beruhigen“, sagt er und kündigte, ebenso wie die Innenministerin, harte Maßnahmen an.

Gleich nach seiner Rückkehr werde der Staatschef eine Krisensitzung einberufen und den ersten schwerverletzten Gendarmen besuchen, lässt der Elysée-Palast verlauten. Auch die Eltern der getöteten Jugendlichen will er empfangen.

Nur kein Öl ins Feuer gießen, scheint die Devise der Behörden und der Polizei zu sein. Verhindern, dass sich die Krawalle noch mehr ausweiten: In der Nacht auf Dienstag erreichten sie bereits vier Nachbargemeinden.

Wenn das bisher verdächtig ruhige Nachbar-Departement Seine-Saint-Denis aufwacht, ist der nächste Flächenbrand garantiert. Auch dort zündete 2005 der Funken, als zwei Jugendliche im Kontakt mit der Polizei ums Leben kamen. Obwohl die Polizei ebenfalls keine Schuld traf. (Stefan Brändle aus Paris, DER STANDARD, Printausgabe 28.11.2007)