Beim Treffen der OSZE-Außenminister in Madrid diese Woche wird ein Eklat erwartet: Zu viele Konflikte mit Russland haben sich angesammelt. Finnland soll als nächster Ratspräsident die Scherben kitten.

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In der Hitliste "Politische Bestseller, die daneben lagen" nimmt das "Finnland-Syndrom" des französischen Vielschreibers und Managers Alain Minc zweifellos einen vorderen Platz ein. Minc drohte in seinem 1986 erschienen Buch so etwas wie die geistige Kolonisierung Westeuropas durch die waffenstarrende Sowjetunion an, angetrieben durch die Deutschen, die Europa und die Nato noch verkaufen würden, um sich die nationale Einheit zu sichern. Finnland, eingefroren im Kalten Krieg und Sinnbild des Appeasements gegenüber der Sowjetunion, lebe im Grunde ganz gut, erklärte Minc damals den Franzosen. "Es kann gewissermaßen sein Schweigen und seine diplomatische Vorsicht gegen ein demokratisches Leben und die Eingliederung in die kapitalistische Welt eintauschen."

Nun erhält Finnland - mittlerweile EU-Mitglied, aber immer noch ausgezeichneter Kenner der russischen Mentalität - wohl späte Genugtuung. Als kommender Ratspräsident der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa soll das Land im Norden retten, was von der OSZE nach dem Außenministertreffen in Madrid am Donnerstag und Freitag dieser Woche übrig sein wird. Gewissermaßen schließt sich auch ein Kreis: In Helsinki hatten die Staats- und Regierungschefs von Nato, Warschauer Pakt und der neutralen Länder 1975 ihre Unterschrift unter die Schlussakte der KSZE gesetzt, des Vorläufers der OSZE.

Die drei K-Fragen

Von großer Harmonie waren die jährlichen Treffen der Minister der heute 56 OSZE-Mitgliedsstaaten ohnehin nicht mehr geprägt. Eine gemeinsame Abschlusserklärung kam seit 2002 nicht mehr zustande. Die Ausgabe 2007 droht allerdings an dem zu scheitern, was Wolfgang Zellner, Direktor des OSZE-Forschungsinstituts Core, die drei K-Fragen nennt: Kosovo, Kasachstan und KSE. Jede dieser offenen Fragen sei für sich genommen schon entscheidend für die Zukunft der Organisation; überlappen sie sich, komme es zu einer offenen Spaltung zwischen Russland und seinen Verbündeten auf der einen und dem erweiterten Westen auf der anderen Seite.

Im Klartext: Erklärt Kosovo am 10. Dezember die Unabhängigkeit, wird Russland ein Ende der OSZE-Mission in der Provinz erwirken - mit 1300 Beschäftigten der größten Mission der OSZE; scheitert Kasachstan mit seiner Kandidatur für die Ratspräsidentschaft, wird es im Verein mit Russland und anderen GUS-Staaten eine Entscheidung über die Vorsitzländer der nächsten Jahre verhindern; gelingt schließlich kein Kompromiss zwischen den USA und Russland zum geplanten amerikanischen Raketenschild und den russischen Truppen in Transnistrien und Abchasien, wird Moskau am 12. Dezember seine Mitgliedschaft im KSE-Abrüstungsvertrag aussetzen und wohl den drei Tage später fälligen jährlichen Informationsaustausch über Truppen und Waffen absagen.

Streitfall Odihr

"Das steht alles so im Raum herum", stellt Christophe Ceska fest, stellvertretender Leiter der österreichischen Mission bei der OSZE, und listet neben der Bewerbung Kasachstans um den Ratsvorsitz 2009 noch weitere Konflikte auf - Russlands Druck auf die Wahlbeobachtungen der OSZE, die Neubemessung der Beitragszahlungen zum Budget, der Streit über eine völkerrechtliche Aufwertung der OSZE nach dem Modell der UNO.

"Der Konsens der OSZE aus den 90er-Jahren fällt auseinander", sagt ein anderer westlicher Diplomat in den Tagen vor Madrid und hat natürlich Russland im Blick: "Ein Land versucht, diesen Konsens umzuwandeln und nach rückwärts zu bewegen." Dass Odihr, die eigenständige OSZE-Behörde für demokratische Institutionen und Menschenrechte, die Beobachtung der Duma-Wahlen an diesem Wochenende wegen der Restriktionen durch die russische Regierung absagte, hat den Konflikt mit Moskau noch deutlich verschärft.

"Odihr ist der Markenname der OSZE, die oberste Kontrollinstanz für Wahlen in Europa", betont der westliche Diplomat. Das autoritär regierte Kasachstan trägt dabei einen russischen Vorschlag für neue Spielregeln bei den Wahlbeobachtungen und beim Umgang mit NGOs mit, was das Problem der Ratspräsidentschaft nicht eben erleichtert.

In Madrid wird nun ein Kompromiss diskutiert: Griechenland springt 2009 ein, Lettland übernimmt 2010, Kasachstan wird die Präsidentschaft für 2011 zugesichert - als erstem Land der früheren Sowjetunion. Eine Grundsatzfrage sei das, sagt Christophe Ceska. "Jeder Staat in der OSZE ist gleichwertig. Und was soll schon groß passieren?", meint Ceska und verweist auf den Konsenszwang. "Die OSZE-Agenda wird ein wenig östlicher. Na und?" Die USA sind dagegen. (Markus Bernath, DER STANDARD, Printausgabe 28.11.2007)