Kunstkino und Pornographie: Ein Skandal? Diese derzeit sehr beliebte Debatte entbrannte auch rund um Catherine Breillats "Romance" - und verfehlte weitgehend die Sujets dieses Films. Claus Philipp über eine bemerkenswerte Autorin und Regisseurin, die Körpern im Kino wieder "Seele und Fiktion" zugesteht. Wien - Wenn in Zeiten wie diesen eigentlich pausenlos die so genannten Hüllen fallen - in Fernsehen, Internet und anderen Medien -, dann stellt sich für das Kino (wie für alle anderen Kunstformen) naturgemäß die Frage: Wie geht man mit diesen permanent entblößten und dadurch gewissermaßen entstellten, misshandelten Körpern überhaupt noch um? Wie etwa in der Literatur, wo sich sogar Herr Reich-Ranicki Gedanken über "Erotik" macht, und alle machen mit, scheint auch die exponiertere Filmkunst gegenwärtig sehr inständig mit der Darstellung des Geschlechtsaktes befasst: Lars von Trier, der kurzfristig höchst ironisch über einen Einstieg ins Pornogeschäft nachdachte, ist nur einer von vielen, die sich in prekärer Lage erneut an der Aktmalerei versuchen, als ginge es frei nach Gustave Courbets berühmtem Gemälde darum, den "Ursprung der Welt" neu und unbelastet zu sehen. Erinnert sei hier beispielsweise nur an die vorletzten Filmfestspiele in Cannes, wo etwa Leos Carax' Pola X ganz exemplarisch ein Liebesspiel von "Geschwistern" in fließenden Erdfarben verfolgte. Oder: Bruno Dumonts L'Humanité, wo - ebenfalls mit einem Blick auf die Malerei der letzten Jahrhundertwende - klobige Körper voneinander nicht lassen konnten. Schon damals, 1998, war immer wieder auch von Catherine Breillats Romance die Rede: Die Autorin und Regisseurin habe in ihrer Geschichte einer weiblichen Selbstfindung unter anderem den Pornostar Rocco Siffredi als einen männlichen Konterpart der jungen Heldin (Caroline Ducey) besetzt, hieß es. Sie huldige ausgiebig Masturbations-, Fesselungs- und andere Hingabefantasien. Und sie orientiere sich sehr deutlich an Oshimas Klassiker Im Reich der Sinne. Ein "kleiner Tod" Breillat, der im Übrigen Aufregungen und Erregungen über ihr Schaffen durchaus recht sind (damit konnte sie schon 1968 als damals erst 17-jährige Autorin des Skandalbuchs L'Homme facile ganz gut leben) - Breillat also hat selbst in Interviews des Öfteren auf Oshimas Credo verwiesen: Jeder Regisseur habe "eines Tages Lust, den Sinnesrausch des sexuellen Akts, also diesen ,kleinen Tod' ganz konkret zu filmen. Der Liebesakt ist eine mentale Transfiguration, Selbstsuche und Suche nach dem Absoluten, keine sexuelle Mechanik." Das Kino, so Breillat, sei "der Sinn, den man Bildern verleiht", im Gegensatz zum Pornofilm, der die Seele und die Fiktion negiere. Was bedeutet das nun für Romance? Auf den ersten Blick erzählt der Film eine konstruierte, bis an den Rand zur Dümmlichkeit simple Geschichte: Marie, von Beruf Lehrerin, leidet darunter, dass ihr Freund nicht mehr mit ihr schläft. Also lässt sie sich auf mehrere, mehr oder weniger bizarre Spielchen und Abhängigkeiten ein - bis sie schließlich in einem Kostümfilmende parodistisch und unerbittlich zugleich zur mörderisch schwarzen Witwe wird. Mit dieser seltsamen Übersteigerung und zum Teil auch recht manierierten Symbolik versöhnt vor allem der filmische Rhythmus, der sich in ruhigen Einstellungen gewissermaßen nur ungerührte Beobachtungen erlaubt. Über die Sprache der Körper setzt Breillat eine ganz eigene, erzählerische Komplexität frei. Wenn etwa Marie in einem langen Fesselungsritual vordergründig ausschließlich Objekt der Schaulust wird, dann spricht die eigentümliche Zartheit und Kunstfertigkeit des Mannes, der da einen komplexen Knoten an den anderen reiht, noch einmal eine eigene Sprache: Allein an dieser zentralen Szene wurde drei Wochen lang gedreht. Gleichzeitig entwickelt der permanente Off-Kommentar der Protagonistin einen Hörspielcharakter, der permanent analytische Distanz gegen schwitzige Nähe hält. Nachtmeerfahrten Vielleicht sollte man an dieser Stelle noch darauf hinweisen, dass Catherine Breillat unter anderem auch Koautorin von Fellinis E la nave va war und dass sie lange Zeit sehr intensiv mit dem französischen Meisterregisseur Maurice Pialat (A nos amours) zusammengelebt und -gearbeitet hat - an dessen beklemmender Nachtmeerfahrt Police etwa. Darüber hinaus hat sie vor Romance ein kleines Meisterwerk geschaffen, das man endlich auch in Österreich zeigen sollte: Parfait Amour (1996) erzählt von einer fatalen Beziehung zwischen einer großbürgerlichen Frau in den besten Jahren und ihrem jugendlichen Liebhaber - bis hin zu einem rasend schmerzvollen und zugleich, ja, romantischen Ende. Wie in Romance, wo manchmal die Kunstsinnigkeit fast ein wenig zu sehr im Vordergrund steht, findet Breillat in Parfait Amour fast beiläufige Bilder, in denen das Nichtgesagte mehr über Sehnsüchte und Schwerkräfte erzählt als die Dialoge. Und sie erreicht dabei eine Eindrücklichkeit, die in ihrer Verknappung der erzählerischen Mittel an Flauberts Madame Bovary bzw. auch Die Erziehung der Leidenschaften erinnert. Womit wir doch wieder beim "kleinen Tod" und in weiterer Folge auch bei Courbets L'origine du monde wären. Und beim Verdikt einer britischen Kritikerin, die meinte: "Catherine Breillat macht wieder bewusst, wie nahe im Französischen der Roman und das Romantische beieinander liegen." Dieses Kino, so sehr es oft auf Blickwechsel vertraut, hat eine durch und durch literarische Qualität. Ab Freitag im Kino. (D ER S TANDARD , Print-Ausgabe, 22.8. 2000)