Zur Person

Primarius Robert Pavelka ist Mitautor des Konsensuspapiers zu Mandeloperationen bei Kindern. Seit 1990 ist er Abteilungsvorstand der HNO-Abteilung des Schwerpunktkrankenhauses Wiener Neustadt. Dort werden ca. 800 bis 1000 Mandeloperationen pro Jahr durchgeführt.

Pavelka ist Mitglied des Vorstandes der Österreichischen Gesellschaft für HNO-Heilkunde, Kopf- u. Halschirurgie und der Österreichischen Gesellschft für Schlafmedizin. Außerdem ist er Mitglied vieler medizinischer Fachgesellschaften im In- und Ausland.

Foto: Pavelka
"Manche Medien haben in es in den vergangenen Tagen so dargestellt, dass es gar keine Mandeloperationen bei Kindern unter sechs Jahren mehr geben soll und das verwirrt die Menschen", sagt der Primarius der HNO-Abteilung des Schwerpunktkrankenhauses Wiener Neustadt, Robert Pavelka, im Gespräch mit derStandard.at. Marietta Türk hat er erklärt, dass die schonende Methode der Tonsillotomie (teilweise Entfernung der Mandeln) nur bei angeboren vergrößerten Mandeln sinnvoll ist. Die vollständige Entfernung (Tonsillektomie) müsse dann durchgeführt werden, wenn Antibiotika nicht mehr gegen chronische bakterielle Mandelentzündungen helfen.

derStandard.at: Ist man von der prophylaktischen Entfernung von Mandeln weggekommen?

Pavelka: Ja, ganz und gar, das ist Medizinentwicklung. Früher war ja auch die Entwicklung der Antibiotika nicht sehr weit. Daher war man früher sehr großzügig bei der Entfernung, weil man gesagt hat, wenn die Mandeln weg sind, können sie keine Probleme mehr machen.

derStandard.at: Wann macht die schonende Form der teilweisen Mandelentfernung (Tonsillotomie) überhaupt Sinn?

Pavelka: Der Sinn ist die Verkleinerung der Mandel. Das heißt, die Indikation dieser Operation ist nur die von Natur aus übergroße Mandel, die aber keine entzündlichen Probleme hat. Das muss man oft schon im Alter von drei oder vier Jahren machen. Die betroffenen Kleinkinder haben Atemprobleme, Atemaussetzer in der Nacht oder Sprachstörungen und dadurch auch Wachstums- und Essstörungen.

derStandard.at: Was ist der Vorteil, wenn die Mandeln teilweise im Hals bleiben?

Pavelka: Durch den Mandelrest ist die immunologische Funktion der Mandeln nicht gestört und das ist gut für die Abwehrkräfte. Gerade in den ersten Lebensjahren ist die Funktion der Mandeln zur Bildung der Abwehrkräfte wichtig. Wenn der Körper weiß, gegen welche Antigene er immun sein muss, braucht man die Mandeln nicht mehr. Unter vier Jahren sollte man also die komplette Entfernung nicht machen.

derStandard.at: Ist die Gefahr der Nachblutung bei der teilweisen Entfernung nicht so groß?

Pavelka: Nein, denn in der Mandel selbst sind nur ganz kleine Blutgefäße, die großen kommen von außen über die Rachenwand auf die Mandel zu. Die Nachblutungsrate ist 1:1000, während sie bei der vollständigen Entfernung (Tonsillektomie) 1:10 ist und wenn, dann sind es nur leichte. Die Kinder haben sehr wenig Schmerzen und erholen sich sehr schnell.

derStandard.at: Wann müssen die Mandeln ganz herausgeschnitten werden?

Pavelka: Die zweite Hauptindikation für Mandeloperationen sind die chronisch entzündeten Mandeln. Diese sollte man bei Kleinkindern wirklich nur dann entfernen, wenn die medikamentöse Therapie versagt. Da sind wir jetzt restriktiver als früher, denn Kinder müssen Infekte durchmachen, dadurch wird das Immunsystem ja erst gefördert.

derStandard.at: Was verstehen Sie unter "restriktiver"?

Pavelka: Wir legen jetzt vermehrt Wert darauf, dass man differenziert, ob ein Halsinfekt überhaupt eine Angina (eitrige Mandelentzündung) war oder ein genereller Atemwegsinfekt ist. Der Unterschied ist der, dass eine Mandelentzündung auf die Mandeln beschränkt ist, ein Atemwegsinfekt hat auch einen Schnupfen oder einen Husten dabei. Ein Atemwegsinfekt ist meist viral und daher auch keine Indikation für eine Mandeloperation. Infekte, die die Mandeln betreffen, sind meist bakteriell.

derStandard.at: Kommt man bei bakteriellen Entzündungen nicht mit Antibiotika aus?

Pavelka: Bakterielle Mandelentzündungen kann man sehr gut mit Antibiotika behandeln. Das Problem ist aber, dass oft Resistenzen gegen Antibiotika entstehen. Wenn diese bakteriellen Infektionen gehäuft immer wieder auftreten und Ärzte das auch gesehen haben und die Kinder zusätzlich schlecht Gewicht zunehmen, schlecht essen und Leistungsverminderungen haben, dann ist es eine Indikation zur vollständigen Entfernung der Mandeln. Das kann unter Umständen auch unter sechs Jahren notwendig sein. Aber durch die Antibiotika kann man es hinauszögern.

derStandard.at: Warum kann diese schonende Form der teilweisen Entfernung nicht generell angewandt werden?

Pavelka: Weil auch ein kleiner Mandelrest immer noch Probleme machen und zu Entzündungen führen kann. Der Grund dafür ist, dass die Bakterien in der Mandel drinnen sind. Durch die Entzündungen entstehen Narben, durch die Abszesse geht das gesunde Gewebe zugrunde und die Bakterien werden im Gewebe mit eingekapselt und sind dann sehr schlecht durchblutet. Die Antibiotika kommen gar nicht in das Gewebe hinein und die Bakterien können aus den Mandeln nachwachsen und ab einer gewissen Konzentration kommt es zur nächsten Angina.

derStandard.at: Ist die Gefahr der Nachblutungen geringer, wenn die Kinder älter sind?

Pavelka: Je kleiner ein Kind ist, umso schneller ist eine Nachblutung tödlich. Erstens ist das gesamte Blutvolumen geringer und das Kind kann so schneller verbluten. Das Zweite ist, die Todesfälle entstehen auch dadurch, dass die Blutgerinnsel eingeatmet werden und die Luftröhre verstopfen, das Kind erstickt. Die Atemwege sind extrem klein bei einem kleinen Kind. Daher können auch ein oder zwei Jahre entscheidend sein.

Wir haben ein Maßnahmenblatt für Eltern zum Verhalten bei Nachblutungen veröffentlicht, das man sich unbedingt durchlesen sollte. Wichtig ist, dass die Eltern darüber informiert werden, dass Nachblutungen für das Kind gefährlich sein können und diese auch noch nach zwei, drei Wochen auftreten können. (derStandard.at, 28.11.2007)