Wird gerne als "musikalisches Chamäleon" bezeichnet: Ennio Morricone, für den es "eine Leidenschaft ist, Soundtracks zu schreiben"

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In zwei Wochen dirigiert Morricone einige davon in Wien. Mit dem STANDARD sprach er über die Ambiguität seines Schaffens und die Freiheit der Töne.


Rom – 12.000 Musikstücke, rechnet der Maestro vor, habe er in seinem Leben für Filme komponiert; würde man sie ihm vorspielen, würde er sich wohl nicht mehr an alle erinnern. Ennio Morricone, der dieses Jahr mit einem Oscar für sein Lebenswerk ausgezeichnet wurde, mag die Bezeichnung, ein "musikalisches Chamäleon" zu sein. Denn – weniger bekannt als seine Mundharmonika in Spiel mir das Lied vom Tod – von Morricone stammen auch zahlreiche Kompositionen im Stile der Zwölftonmusik.

Zwischen den Richtungen, sagt Morricone, der mit Sergio Leone schon als Bub in die Schule ging, könne er genauso wenig werten wie zwischen Filmen – man möge also nicht nach seiner Lieblingsfilmmusik fragen. Die Freundschaft zwischen Leone und Morricone hat nicht nur des Musikers uneingeschränkte Huldigung und Verteidigung Leones Regiearbeit zur Folge, sondern verantwortet, so die Legende, auch die Länge und Langsamkeit vieler dieser Filme. Die Begründung (nach Morricone): Sergio Leone habe seine Musik nicht unterbrechen wollen – und die Bilder daher manchmal einfach länger stehen lassen ...

Wagner und das Kino

Begonnen hat Morricones Karriere aber mit Instrumentalkompositionen unter den Vorgaben der Absoluten Musik. "Dann erst habe ich begonnen, Musik für Filme zu schreiben – zunächst, weil ich da mehr Geld verdiente." Kino sei ein Gesamtkunstwerk, dessen umfassende Mischung aus Künsten "Wagner gefallen hätte". Was zunächst also eher eine Notwendigkeit war, das Arbeiten in zwei sehr unterschiedlichen Stilen, sei bald auch zum künstlerischen Anreiz geworden. Entscheidend für Morricones Komponieren und den Stil seiner Instrumentalisierung war die Chromatik, angelehnt an Richard Wagner. Die Chromatik "gibt den Tönen in ihrem Gebrauch eine demokratische Gestalt. In der Zwölftonmusik gibt es dann keinen Ton mehr, der wichtiger ist als ein anderer."

Auch wenn er viel auf diesem Gebiet gearbeitet habe, sagt Morricone, bevorzuge er die Dodekafonie keineswegs. "Ich liebe auch nicht Schönberg, sondern die Freiheit der Musik." Die Zwölftonkomposition lässt Morricone nun jedenfalls eher ruhen. "Die Zuhörer verstehen sie nicht." Weshalb? Der Meister weiß eine Reihe semi-anatomischer Erklärungen (über die Gehörgänge und wie sie mit welchen Teilen des Gehirns verbunden sind), stellt dann aber schlicht fest: "Das ist eine Frage von Kultur und der Gewöhnung an neue Dinge." Dafür habe er aber Verständnis, denn natürlich sei die Dodekafonie "anders als 'normale' Musik, schwerer, verwirrender". Das System lasse sich in anderen Bereichen der Kunst besser verstehen, man erkenne es beispielsweise im "Nonsense" in der Literatur, denn "Töne haben eine ähnliche Symbologie wie Sprache".

Emotion und Disziplin

Seit dem Frühjahr ist Ennio Morricone mit seinen größten Erfolgen aus jenen fast fünfzig Jahren Filmmusik, die er mitgeprägt hat, auf Tournee; am 12. Dezember dirigiert er sein Orchester mit 80-köpfigem Chor in der Wiener Stadthalle. Das Konzert ist denn auch in eine Art Filmgeschichte gegliedert. Programmatische Zwischentitel lauten etwa "Cinema dell’impegno", "Tragisches, lyrisches, episches Kino" oder "Modernität des Mythos im Kino von Sergio Leone" (darunter The Good, the Bad and the Ugly oder Once Upon a Time in America).

Für Morricone, der mit seiner Frau in einer Wohnung in Rom lebt und im November 79 Jahre alt wurde, sei es immer eine Leidenschaft gewesen, Soundtracks zu schreiben. Dem geht er heute idealerweise bereits zeitig in der Früh nach. "Ich kann auch nachmittags arbeiten, aber nur, wenn ich schon in der Früh damit begonnen habe." Emotion und Disziplin sind also jene beiden Faktoren, die es Morricone ermöglicht hätten, im ambiguen Arbeitsfeld "Ernsthaftes entstehen zu lassen". (Isabella Hager / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 29.11.2007)