New York - Wortkaskaden, die Fragen aufwerfen und Antworten ganz oft schuldig bleiben, sind die Spezialität von Annie Proulx. Impressionen, nur knapp angerissen, aber von großer Sensibilität brachten der amerikanischen Schriftstellerin wichtige literarische Auszeichnungen in ihrer Heimat ein. Für ihren ersten Roman "Postkarten" erhielt sie den angesehen Faulkner-Preis, für ihr zweites Werk "Schiffsmeldungen" wurde sie 1993 mit dem Pulitzer-Preis geehrt. Am Dienstag (22. August) wird die im US-Bundesstaat Vermont geborene Autorin, die sich selbst als "hoffnungsvolle Realistin" charakterisiert, 65 Jahre alt. Wörter wie Schüsse Wenn Annie Proulx schreibe, wirbelten "Wörter wie Schüsse aus den Colts eines Banditen", charakterisierte das US-Magazin "Time" den Stil der erfolgreichen Schriftstellerin. "Einfach so, blam, blam, gezielt, leere Bierdosen fallen in den Dreck, eine verpasst, lacht, lädt wieder, schießt die nächste Runde". Nur wenige ErzählerInnen verbinden nach Ansicht von "Time" derart hohe literarische Ansprüche mit einer so breiten Popularität. In ihrem Erstlingsroman "Postkarten" lässt Proulx ihren traurigen Helden Loyal Blood so konsequent scheitern, dass es schwer fällt, das Buch zu Ende zu lesen. In "Schiffsmeldungen" schildert sie den harten Alltag der Fischer von Neufundland so detailgetreu, als habe sie ihr ganzes Leben im einsamen kanadischen Osten verbracht. Ihr dritter Roman "Accordion Crimes" hat keine Hauptpersonen mehr, nur das grüne Akkordeon, das im Verlauf eines Jahrhunderts von Hand zu Hand geht und jeden neuen Besitzer in ein anderes Licht rückt. Authentizität In "Close Range: Wyoming Stories" schafft es die Autorin nach Auffassung der "New York Times", auch noch den letzten Funken von romantischen Träumen über den Wilden Westen zu zerstören. Die Menschen in der 1999 veröffentlichten Prosasammlung arbeiten schwer, ziehen Rinder und Schafe groß, verscherbeln Andenken an TouristInnen und versuchen verzweifelt, sich trotz der schrumpfenden Erträge ihrer Farmen über Wasser zu halten. Wenn die Figuren in diesen Geschichten so gewöhnlich sind und ihr Schicksal so unausweichlich, warum soll man die Erzählungen dann überhaupt lesen? Ein Grund ist ihre Authentizität, der andere die sprachliche Qualität. Annie Proulx bietet eine eigene Art von Poesie, die Einsamkeit und Schmerz wiedergibt. Alles ist grau Die Schriftstellerin entdeckt Schönheit im Verfall und sieht Elend in vermeintlicher Harmonie. "Es ist schwer, den Menschen das begreiflich zu machen. Die meisten wollen es schwarz-weiß, gutes Ende, schlechtes Ende. Aber das Leben ist nicht so. Alles ist grau", sagte sie einmal. Viele Lachfalten um ihre Augen lassen die Jahre durchblicken, die Proulx mit vier kleinen Kindern aus drei Ehen als Kellnerin, Postangestellte, Lokalreporterin und Sachbuchautorin verbracht hat. Jetzt, als endlich erfolgreiche Erzählerin, sehnt sie sich "oft zurück nach der Bequemlichkeit der Anonymität, danach, einfach wieder bloß in Ruhe zu schreiben". (APA)