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Erlebt zurzeit recht viel: Der diesjährige Wien-Modern-Hauptkomponist Georg Friedrich Haas wurde mit dem Großen Österreichischen Staatspreis ausgezeichnet.

Foto: APA/Universal

Wien – Wie alle kulturellen Teilsysteme kann man sich auch neue Musik als einen für sich bestehenden Großkomplex denken, der immer neue und nur intern wirksame Funktionsweisen ausbildet. Doch ist in letzter Zeit die Durchlässigkeit nicht nur bei den Kompositionstechniken, sondern auch in der gesellschaftlichen Akzeptanz zeitgenössischen Bestrebens wieder deutlich gestiegen.

Davon legte kürzlich nicht nur der Umstand Zeugnis ab, dass die Wiener Philharmoniker bei Wien Modern konzertierten, sondern auch die Haltung, mit der sie das taten: mit der offensichtlichen Überzeugung, dass es auch für sie notwendig ist, sich mit den Strömungen der Zeit auseinanderzusetzen. Und aus der Form, wie das Publikum dem Komponisten Georg Friedrich Haas auch beim zweiten Termin im Rahmen des "normalen" Konzerthaus-Abonnements zujubelte, klang ebenfalls mehr als höfliches Interesse.

Die zunehmende Selbstverständlichkeit, mit der man in Wien zeitgenössischer Musik begegnet, ist zu einem nicht geringen Ausmaß wohl das Verdienst jenes Festivals, das es einmal im Jahr möglich macht, sich konzentriert über aktuelles Komponieren zu informieren. Dabei zeugt es von der dramaturgischen Kompetenz der Wien-Modern-Macher, dass sie deutliche Schwerpunkte mit stilistischer Vielfalt verbinden, sozusagen in den programmatischen Konturen gleichermaßen Dichte und Breite anbieten. Man braucht gar nicht alle rund achtzig Veranstaltungen zu besuchen, um in einem Monat einen fast repräsentativ zu nennenden Überblick über das zeitgenössische Musikschaffen zu bekommen, obwohl man dies mit dem Generalpass zum Preis einer besseren Konzertkarte oder einem Opernticket der mittleren Kategorie leicht tun kann.

Neben den großen Blöcken war es heuer etwa auch möglich, Einblicke in das hierzulande weniger bekannte kompositorische Werk eines dennoch Berühmten zu erlangen: Als Sukkus eines Workshops mit Hans Zender stand ein ganzer Abend an der Wiener Musikuniversität im Zeichen dieses zwischen ostasiatischem Einfluss und europäischen Musikdenkens oszillierenden Werks.

Schrullige Seite

Dabei bemühten sich Studierende und Profis gleichermaßen konzentriert um Zenders oft nur von wenigen Gesten lebenden "Haiku"-Kompositionen, deren kontemplativer Stimmung mit einer ausführlichen Werkauswahl nachgegangen wurde. Dann zeigte das Ensemble online vienna unter der Leitung von Simeon Pironkoff mit "Cabaret Voltaire" eine andere, schrullig-humoristische Seite des Komponisten, dessen Hugo-Ball-Vertonung Anna Maria Pammer kehlig und grotesk ihren Sopran lieh.

Szenenwechsel: Im Semper-Depot versammelte man sich zu einer Hommage an Luciano Berio, eines der beiden diesjährigen Hauptkomponisten: Unter dem Titel "Consequenza" (in Anspielung an Berios solistische "Sequenza"-Stücke) wechselten sich die Musiker des portugiesischen Remix-Ensembles in einem stimmungsvollen Destillat stilistisch höchst unterschiedlicher Stücke ab, während Texte und Bilder Erinnerungen an den 2003 Verstorbenen hervorriefen.

Wenn Töne reden

Eine nochmalige Rückblende führt zu einer Facette innerhalb des Werks des zweiten Hauptkomponisten, Georg Friedrich Haas, der gestern den Großen Österreichischen Staatspreis erhielt. Die Symphoniker unter der Leitung von Peter Ruzicka eröffneten im Konzerthaus nochmals eine Perspektive auf Haas’ Kosmos, der keineswegs als Elfenbeinturm-artig begrenzter Bezirk vorzustellen ist, sondern mit etlichen musikalischen Paralleluniversen kommuniziert, etwa jenem von Alexander Skrjabin:

Die bescheiden "Opus 68" titulierte Orchestrierung von dessen neunter Klaviersonate ist nicht nur eine persönliche Aneignung, sondern ein vielsagender Kommentar über die Spuren der Musikgeschichte in diesem Werk, das dort endet, wo die Reprise einsetzen würde. Wie Haas diese Stelle nur durch Instrumentation verdeutlicht, grenzt eigentlich an Magie. (Daniel Ender / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 29.11.2007)