Wien - An die 20 Zentimeter hoch, und jede Menge Unannehmlichkeiten für die Angeklagten: So könnte man Form und Inhalt des Gutachtens zusammenfassen, das Wirtschaftstreuhänder und Gerichtssachverständiger Thomas Keppert am Mittwoch im Großen Schwurgerichtssaal per Power-Point-Präsentation erläutert hat. Auftrag Keppert war es, wie berichtet, die Bawag-Bilanzen von 1998 bis 2002 zu überprüfen (einem Teil der Angeklagten wird Bilanzfälschung vorgeworfen), sowie die Jahresabschlüsse der ÖGB-Gesellschaft ÖVV (sie hielt die Bawag-Beteiligung des ÖGB) und der dem ÖGB zuzurechnenden Solidaritätsprivatstiftung (ÖSGP; siehe Geschichte oben).

Über Kepperts zusammenfassenden Erläuterungen der Bankbilanzen für die Jahre 1998 und 1999 hat der Standard bereits berichtet. Der Gutachter setzt viel vorsichtigere Bewertungen der Sicherheiten von Wolfgang Flöttl (er hat jene Besitzgesellschaften, in denen seine Bilder und Liegenschaften untergebracht waren, im Herbst 1998 an die Bawag überschrieben; er selbst hat dafür nie Bewertungen abgegeben) an als die Bawag-Banker. Auch ausstehende Kreditengagements sieht er wesentlich geringer bewertbar - in Summe kommt er daher für das Jahr 1998 auf einen Wertberichtigungsbedarf von 558 Mio. Euro. Für das Jahr darauf beziffert er den Wertberichtigungsbedarf wie berichtet bereits mit "mindestens" 1,198 Milliarden Euro.

Stille Reserven und Rückstellungen

Falsch sind laut Kepperts erst am Montag bei Gericht eingelangten Gutachten über die Bawag-Jahresabschlüsse auch die Bilanzen der Folgejahre bis 2002 (die Bilanzen danach werden der dritte Gutachtensteil). Für 2000 galt bereits die Garantie des ÖGB, die Keppert für Forderungen über 1,483 Milliarden berechnete, nicht umfasst davon waren weitere Forderungen von 175 Mio. Für die gab es laut Keppert aber stille Reserven und Rückstellungen, sein Schluss: "Für 2000 fehlten Wertberichtigungen von mindestens 86,45 Mio. Euro."

Falsch sind laut seinem Dafürhalten (die Angeklagten sehen das anders; sie werden auch noch nach der "Winterpause" ab Mitte Jänner zu diesen Punkten Stellung nehmen können) auch die Bilanzen 2001 und 2002. Für 2001 fehlen nach seiner Berechnung Wertberichtigungen in Höhe von 591 Mio. Euro.

Während die Bawag-Banker damals noch die Beteiligung am Casino Jericho (CAP) in den Büchern hatten, geht Keppert davon aus, "dass es dafür keinen Wertansatz mehr zu geben hat. Er sieht im Gegensatz zu den damaligen Bilanzerstellern auch keine Werthaltigkeit in der Gewinnbeteiligung der Mobiltel Bulgarien, "die ist schließlich erst 2004 geflossen, auch eine rechtsverbindliche Erklärung dafür gab es erst ein Jahr nach Bilanzerstellung 2001", erklärte der Gutachter.

Das Kreditobligo sei damals auf fast 1,1 Mrd. Euro gestiegen gewesen, die Garantie der ÖGB-eigenen ÖVV habe nur einen Teil davon erfasst, woraus sich "ein ungedecktes Kredit-Obligo von 591 Mio. Euro" errechne. Keppert: "In diesem Ausmaß ist der Jahresabschluss 2001 unrichtig."

Zwei Varianten

Für das Jahr 2002 hat Keppert zwei mögliche Varianten berechnet. Je nachdem, ob die Kreditaufträge, die die Solidaritätsprivatstiftung (ÖGSP) im Dezember 2002 die früheren Ausfallsgarantien der ÖVV ersetzt haben (davon geht etwa Günter Weninger aus) oder zu diesen hinzugetreten sind (davon gehen andere Angeklagte aus), errechnete der Gutachter zwei Varianten.

Nach Variante eins bleibt eine Unterdeckung und somit ein Wertberichtigungsbedarf von 665 Mio. Euro, nach Variante zwei (Kreditaufträge werden dazugerechnet) 134 Millionen, rechnete Keppert den "günstigsten Fall" vor.

Der ÖGB blieb angesichts Weninger Geständnis kühl: Man werde sich das "in Ruhe anschauen", die betroffenen Bilanzen seien seit 2005 "geheilt". (gra, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 29.11.2007)