Am Tag danach reibt man sich die Augen und versucht, in die Wirklichkeit zurückzufinden: Was ist da am Dienstag in Annapolis tatsächlich vor sich gegangen? Ist man über die Jahre zum missgünstigen Defätisten geworden, wenn man sich nicht sofort von der anscheinend allerorts grassierenden Hoffnung anstecken lässt? Die "neuen Töne", haben wir die nicht schon vor fünfzehn Jahren, zu Beginn des Oslo-Friedensprozesses, gehört, den "historischen Schritt" nicht auch schon damals gesehen?

Gewiss, man kann aus der gemeinsamen israelisch-palästinensischen Erklärung ermutigende Zeichen des gegenseitigen Verstehens herauslesen, auch aus der Art, wie Ehud Olmert und Mahmud Abbas miteinander umgehen. Wenn man optimistisch sein will, sieht man darin den ersten Schritt zu einer generellen Diskursänderung. Es stimmt, auch, dass heute die Worte "zwei Staaten" allen Beteiligten locker über die Lippen gehen, das war zu Beginn von Oslo ganz anders. Die Uhr lässt sich eben doch nicht zurückdrehen.

Und, vielleicht am wichtigsten, die US-Regierung von George W. Bush hat - mit großer Geste - eingestanden, dass erstens ein neuer Anlauf zwischen Israelis und Palästinensern nicht länger warten kann, und zweitens, dass er nur unter US-Ägide geschehen kann. Wie weit sich Bush persönlich engagieren wird, ist völlig unklar. Jedenfalls war von einer "leadership" Bushs nichts zu merken. Er - der Ariel Sharon 2004 brieflich zugesichert hat, dass Israel nicht an die 1967er- Grenzen zurückkehren muss - spielte in Annapolis nur den Grüßaugust.

Dazu ist die Erklärung, deren Zustandekommen in buchstäblich letzter Minute so groß gefeiert wird, klar hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Von zu formulierenden "Prinzipien" war die Rede, als die Konferenz im Sommer angekündigt wurde, dann sollte es wenigstens eine Aufzählung der Verhandlungspunkte sein, am Ende blieb nicht einmal das. Das inhaltliche Vakuum wurde gestopft mit einem ehrgeizigen Zeithorizont, der wenig überraschend mit der verbleibenden Amtszeit von Bush identisch ist. Hätten sie doch nur schon etwas früher angefangen - zum Beispiel vor dem Wahlsieg der Hamas!

Rund um den Umstand, dass beinahe gar keine Erklärung zustande gekommen wäre, hat bereits das gegenseitige "blame game" begonnen: Die Palästinenser wollten nicht, die Israelis wollten nicht. Zynisch könnte man sagen, das Ermutigendste ist dabei die Aufregung der Friedensgegner auf beiden Seiten. Aber um sich darüber freuen zu können, dafür stehen beide, Olmert und Abbas, innenpolitisch viel zu schwach da.

Ein weiteres Rätsel ist der geplante Ablauf, zu dem aus der Erklärung kaum etwas herauszulesen ist. Die Roadmap ist wiederbelebt, sind es auch ihre Fallstricke? An der Abfolge "Wer muss wann was tun?" ist sie damals gescheitert.

Aber immerhin, die Umsetzung der einzelnen Roadmap-Schritte soll nun sofort beginnen - und, das ist neu und positiv, sie wird einem amerikanischen Monitoring unterworfen. Sie ist auch nicht mehr Voraussetzung für Endstatus-Verhandlungen, sondern nur mehr für die Umsetzung eines erreichten Abkommens. Das heißt aber andererseits, dass Abbas in einem Jahr so nebenbei das Hamas-Problem (Stichwort "Terrorinfrastruktur") gelöst haben sollte.

Bleibt noch die Frage, ob es irgendein Anzeichen dafür gibt, dass eine Einigung bei den Knackpunkten (Grenzen, Flüchtlinge, Jerusalem) heute näher ist als während all der letzten Jahre. Kann sich Olmert - der damals zu den Ablehnern gehörte - an Taba im Jahr 2000, als die Lösung so nahe war, orientieren? Kann es Abbas um so viel billiger geben als Arafat? Trotzdem, vielleicht bringt ja der Aufbruch eine Dynamik in Gang, etwas, das Israelis und Palästinenser spüren und das den Friedenssehnsüchten beider wieder den Mut zur Umsetzung gibt. Vielleicht waren die Hoffnungen vor Oslo zu groß, war der "historische Schritt" zu weit. Vielleicht hat der kleine Schritt von Annapolis diesmal das rechte Maß. (DER STANDARD, Printausgabe, 29.11.2007)