Der Hafen von Stavanger.

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Die Wiedergeburt der Stadt erfolgte am Weihnachtsabend des Jahres 1969. Pünktlich zum Fest verkündete die amerikanische Ölfirma Phillips stolz, dass sie nach jahrelangen unbefriedigenden Bohrungen nunmehr fündig geworden sei: Ekofisk, Europas größtes Ölfeld, war entdeckt worden, der Aufstieg Norwegens zum Großverdiener und der Ausbau Stavangers als Zentrum des Erdölgeschäfts konnte beginnen.

Öl, das schwarze wie das gelbe, von dem noch die Rede sein wird, hat die Stadt an der Westküste Südnorwegens zu dem gemacht, was sie heute ist: ein quirliger, teurer Knotenpunkt, in dem große Konzerne residieren und 116.000 Menschen aus vielen Ländern leben, Sprungbrett zu den Plattformen und Versorgungsbasis für die Tanker und Unterwasseranlagen vor der Küste.

Eine Stadt ohne rechtes Gesicht ist Stavanger, aber mit hübschen einzelnen Zügen. Rund um das Hafenbecken Vagen reihen sich alte Speicher und neue Restaurants, die strenge Skagen-Brücke schließt die Bucht zum offenen Wasser hin optisch ab. Der Dom hat seit 1272 unverändert seine romanisch-gotische Form erhalten und musste nur im Inneren ein paar barocke Schnörkel hinnehmen. Aus dem Stadtsee Breiavatnen dahinter werden die Babys gefischt, weil es dem Storch im unwirtlichen Norwegen bekanntlich zu kalt ist. Die Altstadt, fast durchgehend Weiß in Weiß, weist exakt 173 Holzhäuser aus dem 18. und 19. Jahrhundert auf, ansehnlich verziert mit Stakettenzäunen und Vorgärten. Geschichtsträchtig ist der Boden ohnehin: Ganz in der Nähe bei Hafrsfjord schlug Harald Schönhaar 872 seine Konkurrenten und einte das Königreich – die haushohen, martialischen "Schwerter in Stein" des Fritz Roed, erst 1983 eingeweiht, erinnern unübersehbar daran.

Direkt am Wasser erhebt sich das Ölmuseum, einem kantigen Gebirgszug nicht unähnlich. Gefeiert wird der Stoff, der die Bilanzen explodieren lässt. Bohrköpfe sind aufgereiht wie die Häupter von Ölgötzen, metallene Spinnen und Wasserkäfer hängen von der Decke, Roboter, die Pipelines säubern und Steine am Meeresgrund beiseiteräumen. Doch auch die "Schwarzen Tage" werden nicht verschwiegen: Als etwa am 27. März 1980 die Plattform Alexander L Kielland kenterte und 123 Mann unter sich begrub. Nach dem Sicherheitstraining per Video geht es "offshore", in die Bohranlage – nicht ganz so ungewöhnlich in Norwegen, wo 240.000 Menschen ihr Geld mit Öl verdienen. Gleich hinter der Kabine mit Bett und Fernseher kommen Krankenstation, Fitnessraum und Musikzimmer. Im Herzen der Anlage steht der Bohrraum, aus dessen Führerkabine der Blick aufs Bohrgestänge nach unten geht – und auf die See, in der, ein paar Dutzend Kilometer weiter, all diese Technik nicht Spielzeug, sondern Arbeitsgerät ist.

Doch vor dem Erdöl war es das andere Öl, das aus Oliven gewonnene, das der Stadt den Reichtum brachte: Es machte, zusammen mit dem Sterilisieren, die Sprotten in den Dosen haltbar, mit denen Stavanger die Welt ein Jahrhundert lang versorgte. Piers Crocker, der Direktor des Konservenmuseums, ist Engländer, aber er erzählt so begeistert, als flösse norwegischer Aquavit in seinen Adern, wie die Firmen von der Herstellung von Fischnockerln allmählich zum Eindosen geräucherter Heringe fanden.

Die Blütezeit der Konservenindustrie setzte Anfang des 20. Jahrhunderts mit der Einführung einer neuen Technik ein, und der Direktor freut sich norwegisch-königlich, wenn er den Schalter umlegt und die Etikettier-, Falz- und Lötmaschinen zu rattern und rasseln und klackern beginnen. 59 Fabriken gab es 1925 in Stavanger. Und ihre Direktoren waren clevere Marketingleute: Sie besuchten Lebensmittelmessen, ließen Plakate drucken, gaben ihrem Fisch klangvolle Namen und beklebten die Dosen mit den entsprechenden Etiketten. "Loreley" hießen die "Norwegian girl" oder "Kaiser Wilhelm". Und sie zeigen sportliche Damen, verwitterte Krieger, neue Automobile und alte Adlige. Rund 44.000 Motive sollen es insgesamt sein, das Museum hat eine prächtige Auswahl davon.

Der Regen gehört zu Stavanger wie das Öl. Seine Bewohner wissen, warum sie die meisten ihrer Einkaufsmeilen überdacht haben, und manche trotzen dem Nieselgrau mit Hausfassaden in Sonnengelb, Knallorange und Latzhosenlila. Natürlich könnte man den zweistündigen Fußmarsch hinauf zum Prekestolen, Norwegens beliebtestem Fotomotiv, auch bei Regen unternehmen – wenn man nicht ganz bei Trost ist. Und, oben angekommen, in der dunstigen Suppe herumirren und sich vorstellen, dass direkt vor den Füßen der Fels 600 Meter abfällt.

Sinnvoller ist an solchen Tagen eine Bootsfahrt in den Lysefjord. Von den bleiern schimmernden Wänden schäumen Bäche als weißes Geäder. Wie Pilze wachsen die Bojen der Muschelfarm aus dem Meer. 300 Kilometer Tau, erklärt die Führerin, hängen darunter in die Tiefe, besetzt von Millionen und Abermillionen Schalentieren. Und dann steigt wie eine Kulisse aus "Herr der Ringe" dräuend und düster die steile Wand des Prekestolen, des Predigerstuhls, aus dem Meer und verliert sich oben im Grau. Unablässig perlen Regenschnüre, in Spalten klammert sich Krüppelgehölz, drei durchnässte Ziegen halten auf einem Absatz die Stellung. Und aus dem schwarzen Stein treten Fratzen, Könige und Trolle hervor und starren auf die vorwitzigen Eindringlinge hinunter. Der Skipper stellt einen Küberl in den Bug und lotst sein Boot vorsichtig unter den Wasserfall: ein frischer Schluck für alle, direkt vom Himmel gefallen.

Auch um nach Kvitsöy zu kommen, braucht man ein Boot. 520 Menschen wohnen fest auf der Insel, die Ferienhäuser kosten schon mal 500.000 Euro. In den niedrigen Hallen des Lobster-Parks auf Kvitsöy leben die Hummer zuerst in Tanks, werden mit Kameras überwacht, und der Computer teilt mit, wann es Zeit für einen Ortswechsel ist. Eine Weltneuheit, sagt der Bürgermeister, mit riesigen Entwicklungsmöglichkeiten. Wieder einmal ein Quantensprung in Stavanger? Wundern würde es niemanden. (Franz Lerchenmüller/DER STANDARD/RONDO/30.11.2007)