Burial: "Untrue"

Foto: Hyperdub/Trost
Das Album setzt definitiv Maßstäbe.

Der junge Londoner Wohnzimmerproduzent Peter Parker alias Burial verweigert nicht nur kenntliche Fotos und andere dem persönlichen Ruhm und der Mehrung sexueller wie finanzieller Aktivitäten gewidmete Marketing-Maßnahmen. Die verwendet der auf Bilder und Images trainierte Popkonsument gewöhnlich gern dafür, sich vom Eigentlichen, also der Musik ablenken zu lassen. Auch Parkers Tonsetz-, Beat- und Sampling-Kunst selbst verweist trotz aller zweifellos aktuell angesagten Hypermodernität nicht gerade auf jenen zentralen Lebensbereich, der einem heutigen Dancefloor-Produzenten gut anstehen würde: die im Stroboskopgewitter zuckende und zitternde Belegschaft eines an der Tür streng agierenden Undergroundclubs unserer Wahl.

Der aus diversen, oberflächlich kaum unterscheidbaren, aber aus der Abgrenzung heraus essentiellen britischen Sub-Stilen wie UK Garage, Two Step, Dub, House, Grime und natürlich immer noch HipHop und Drum'n'Bass spätestens heuer zum neuen Trendsport entwickelte Stil des Dubstep (demnächst übrigens abgelöst von einem noch exklusiveren Derivat namens "Future Dub") fährt dem Clubbesucher nicht nur in die Knochen und den Magen. Mit der Veröffentlichung auf dafür wegen ihres Frequenzspektrums besser für unglaublich tief gelegte Bassmotive in der bevorzugten Erscheinungsform von Maxi-Singles geeigneten Kunst des Twelve-Inch-Formats und dunklen, düsteren Chor- und Streichermotiven aus der Datenbank für Funk- und Soul-Geschichte wird für den Kopf obendrein auch ein breites historisches Referenzsystem hergestellt.

In dem kann man als kennender und bekennender Liebhaber schwarzer Musikstile genüsslich sein symbolisches Kapital als Fach-Mann mehren. Dubstep und Frauen schließen sich, so wie noch jedes Underground-Phänomen auf dem Höhepunkt ihrer Definitionsmacht, erst einmal aus. Hier gilt es wie zuvor beispielsweise im TripHop, auf Björk und noch später auf Madonna als Train-Hoppers zu warten. Einstweilen gehört der Dubstep - mit wenigen handverlesenen Ausnahmen - einzig den Buben.

Peter Barker alias Burial führt jetzt auf Untrue, dem Nachfolgealbum seines im Sommer 2006 erschienenen Debüts Burial, eine Entwicklung fort, die im noch immer von einzelnen und auf verdienstvollen Kompilationen wie Box Of Dub dokumentierten Leistungsschau-Tracks des Genres weg von der Maxi im Club zum Album in die Wohnzimmer führt. Die letztlich auf HipHop heruntergebrochenen, auffrisierten Stakkato-Break-Beats, der dazu auf vermindertem Tempo pumpende und wummernde Bass, billige Streicher-Samples und verfremdeter, hochgepitchter oder verzerrter und im Hallraum begrabener Ergriffenheitsgesang ergeben letztlich auch eine zum Hören auf den Kopfhörern einladende erratische Musik, deren Erzählstruktur man sich selbst zu diesen durchwegs im dunklen, warmen Sound über sperriger Rhythmik gehaltenen Stücken dazu denken muss. Trotz des Bestehens auf Ekstatik und hedonistischer Flucht aus dem Alltag entsteht so ein zwingender Soundtrack, weniger zur Flucht durch Tanzen als zum Fingerschnippen mit den Synapsen.

Geschaffen wird dies alles mit billigen, für jedermann zugänglichen Programmen. Diese wohnen heute längst serienmäßig auch im eigenen Laptop. Die Kunst allerdings, wie hier Peter Parker auf Tracks wie Archangel , Raver , Ghost Hardware oder UK zur Tat schreitet und mitunter harte, grobe und schlampige Schnitte mit höchster Präzision zart neben die Spur setzt, diese Meisterschaft, der sonst üblichen Perfektion von Beat-Buchhaltern grobe Klötze entgegenzusetzen, verdient Hochachtung. Das kann ich auch?! Nein, kannst du nicht! Neben den erwähnten Box-Of-Dub -CDs das Beste, das man dieses Jahr kaufen kann. (Christian Schachinger / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 30.11.2007)