Es gibt nicht nur die eine, die einzige Literatur. Das zumindest meint Deutschlands bekannteste Literaturkritikerin Sigrid Löffler. Und so fand sie den programmatischen Titel für Zeitschrift, die zurzeit unter ihrer Leitung entsteht: «Literaturen». Pünktlich zur Frankfurter Buchmesse im Herbst will die ehemalige Mitstreiterin des «Literarischen Quartetts» den Lesern damit einen Pfad durch den unübersichtlichen Büchermarkt bahnen. Einmal monatlich soll dem «lesenden Leser» alles Interessante und Neue rund um den Büchermarkt dargeboten werden. Nicht im dunklen Hinterzimmer, sondern in einem hellen Büro der 58-Jährigen in Berlin-Mitte stapeln sich die Bücherberge. Seit Jahresbeginn ist das Redaktionsteam komplett, und auch Sigrid Löffler hat ihren Wohnsitz an die Spree verlegt. Die damit verbundene Verkleinerung ihrer geliebten häuslichen Bibliothek von knapp 30.000 auf 15.000 Bände hat sie nach eigener Aussage gut überstanden. Ihre Bibliothek sei damit qualitataiv gewachsen, versichert sie. «Illoyale Leserin» Nichts geändert hat sich aber am Literaturkonsum der Kritikerin. Rund 140 Bücher werden von ihr pro Jahr gelesen oder durchforstet. Dabei sei sie eine «illoyale Leserin», zu schnell verführbar von neuen literarischen Genüssen, sagte sie. Doch gerade diese Neugier scheint unentbehrlich beim Start in ein Zeitschriftenprojekt zu sein. Auf rund 100 Seiten sollen bei «Literaturen» Texte diskutiert, besprochen und eingeordnet werden. Dabei sehen sich die MacherInnen der Zeitschrift als MittlerInnen zwischen Tageszeitungen, die laut Löffler «alles mitnehmen müssen, was neu auf dem Markt ist», und Fachjournalen. In der Auswahl der Werke haben sie sich keine Tabus gesetzt. Alles von Physik über Feminismus bis Kinderliteratur soll auftauchen, gebündelt werden und damit «manche Überraschung» für die LeserInnen bergen. All-Round-Angebot Zwei Schwerpunkte, jeweils aus der Belletristik und dem Sachbuchbereich, komplettieren das All-Round-Angebot. Und dabei kann sich Löffler auch auf prominente Unterstützung verlassen. SchriftstellerInnen, PolitikerInnen oder andere Prominente werden ihre Sicht auf die Literatur darlegen und Bücher besprechen. Einer von ihnen ist zum Beispiel der Hamburger Sozialforscher Jan Philipp Reemtsma. Die Zeit sei reif für «Literaturen», glaubt Löffler. Anders als im angelsächsischen Raum gebe es auf dem deutschen Markt bislang keine anspruchsvolle Literaturzeitschrift für einen großen LeserInnenkreis. Dass für ähnliche Projekte bereits nach kurzer Zeit das Aus kam, stört sie nicht. Mit dem Gedanken an eine Literaturzeitschrift liebäugelte die ehemalige Feuilletonchefin der Wochenzeitung «Die Zeit» schon lange. Erst im Sommer vergangenen Jahres wurde das Projekt konkret. Trotz der Querelen mit Literaturpapst Marcel Reich-Ranicki war ihr Ausstieg aus dem Kritiker-Quartett damals jedoch noch nicht absehbar. Zum Eklat über kam es erst im Juni dieses Jahres, als der 80-Jährige seiner Kritikerkollegin vorwarf, sie verstehe nichts von erotischer Literatur. Dennoch bescheinigte er ihr in der Sendung am vergangenen Freitag artig: «Zum Niveau und Format des Literarischen Quartetts, zu seiner Originalität und Suggestivität hat Sigrid Löffler wesentlich beigetragen.» Die mit so viel Lob Bedachte hält sich mit Kommentaren über ihre ehemaligen Kollegen bedeckt. Dabei sieht sich die Österreicherin keineswegs in Konkurrenz zu der in ihren Augen «abgewirtschafteten» Kritikerrunde. Sie wolle schließlich die «lesenden LeserInnen» ansprechen. (APA)