Kurz vor der Parlamentswahl Präsident Putin in Verletzung des Wahlgesetzes via Fernsehen für die Partei geworben, deren Spitzenkandidat er ist
Redaktion
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So viel Zuwendung hatte das russische Volk schon lange nicht mehr. Sogar die Mobilfunkgesellschaften geben sich dafür her, den Bürger zur Teilnahme an den Parlamentswahlen am Sonntag aufzurufen: „Kommen Sie zu den Wahlen. Ihre Stimme ist wichtig für das Land!“, schrieb der Anbieter Beeline in einem SMS an seine Kunden.
Für wen zu stimmen sei, stellte der Präsident höchstpersönlich klar: „Ich bitte Sie, wählen zu gehen und Ihre Stimme der Partei ,Einiges Russland‘ zu geben“, sagte Wladimir Putin am Donnerstag im Fernsehen.
Entwicklungskurs
Wohl um das Interesse an der Rede zu wecken, hatte es am Vortag geheißen, Putin werde eine „Sensationserklärung“ abgeben. Die Ansprache enthielt aber kaum Neues. Es wäre „eine gefährliche Illusion zu denken, dass alles vorentschieden ist und der eingeschlagene Entwicklungskurs beibehalten wird“, warnte Putin. Schon eine Woche zuvor hatte der Kreml-Chef das Schreckgespenst einer „Revanche der Oligarchen“, die in den 1990er-Jahren das Sagen hatten, beschworen. Am Mittwoch bestellte er alle ausländischen Botschafter ein, um ihnen die Kontinuität der Entwicklung Russlands zuzusichern und sich ausländische Einmischung zu verbitten.
Schon Anfang Oktober sorgte Putin für den Paukenschlag, indem er sich für die kremlnahe Partei „Einiges Russland“ als Spitzenkandidat zur Verfügung stellte. Derzeit wird in Russland die Variante diskutiert, dass Putin zurücktritt und als Abgeordneter doch ein drittes Mal an den Präsidentschaftswahlen am 2. März teilnimmt. „Putin hat mehrere Szenarien für den Machtwechsel in der Schublade“, sagt die Politologin Lilija Schewzowa zum
Standard
: „Sein Machtfaktor ist, dass er sich nicht festlegt.“
Kavaliersdelikt
Dass er als Staatspräsident für seine eigene Partei geworben hat, geht als Kavaliersdelikt durch. Für Putin geht es darum, mit dem Wahlergebnis der Partei möglichst nah an seine eigene hohe Popularitätsrate heranzukommen. Die Partei hat sich daher inhaltlich auch auf ihr Zugpferd beschränkt und nur mit dem diffusen „Plan Putins“ geworben.
Die Umfragen geben „Einiges Russland“ zwischen 62 und 66 Prozent. Ob neben ihnen nur noch die Kommunisten (zehn bis 14 Prozent laut Umfragen) ins Parlament kommen oder doch auch der Ultranationalist Wladimir Schirinowski und die linke Partei „Gerechtes Russland“ die Siebenprozent-Hürde schaffen, tut für die Kräfteverteilung wenig zur Sache.
Panische Angst hat der Kreml aber offenbar vor der marginalen liberalen Opposition. Ex-Schachweltmeister Garri Kasparow wurde fünf Tage inhaftiert, der Präsidentschaftskandidat und Sowjetdissident Wladimir Bukowski wurde in Petersburg festgenommen, weil er angeblich bei Rot über die Straße ging.
Am Donnerstag wurde übrigens der im britischen Exil lebende Milliardär und Putin-Kritiker Boris Beresowski von einem Moskauer Gericht in Abwesenheit zu sechs Jahren Haft verurteilt. Er soll in den 1990er-Jahren als Miteigentümer der Fluglinie Aeroflot umgerechnet sechs Millionen Euro veruntreut haben. (Eduard Steiner aus Moskau/DER STANDARD, Printausgabe, 30.11.2007)
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