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Schon seit einigen Wochen protestieren vorwiegend Studenten gegen die geplante Verfassungsreform in Venezuela.

Foto: AP/Yanes
Caracas – Am 9.Dezember lässt Präsident Hugo Chávez die Zeitmesser in Venezuela um eine halbe Stunde zurückdrehen, wie das Amtsblatt am Mittwoch mitteilte. Die Uhren werden auf die Weltzeit minus viereinhalb Stunden eingestellt werden, eine Zeitzone, die es in keinem anderen Land der Welt gibt. Eine Woche zuvor will er schon per Verfassungsreferendum neue Zeiten einleiten. Unter anderem sieht die Reform vor, dass der Staatschef unbegrenzt wiedergewählt werden kann. In 23 de Enero (23._Jänner), einem Problemviertel der Millionenstadt Caracas und einer Hochburg von Chávez, hat das „Kommando für das Ja“ zur Verfassungsreform zu einer Kundgebung aufgerufen. Doch statt eines Aufmarschs in roten Hemden findet diesmal eine Autokarawane statt - ganz im Stile der Oligarchie. Die Luxuslimousinen zeugen vom Aufstieg der so genannten „Bolibourgeoisie“. Für den Comandante „Weiter mit Chávez“ steht auf den roten Transparenten der Chávistas. Der 52-jährige Gustavo Soto sagt: „Meine Tochter arbeitet für die Regierung, mein Sohn konnte dank Chávez auf die Universität, ich stimme immer für ihn.“ Was genau in der Verfassungsreform stehe, wisse er nicht. „Das ist nicht wichtig, wir unterstützen den Comandante.“ Doch bei anderen hat die Euphorie mit der zweistelligen Inflationsrate, Versorgungsengpässen, steigender Kriminalität und grassierender Korruption nachgelassen. Es sei nicht zu erwarten, dass die 69 veränderten Verfassungsartikel Lösungen für diese dringenden Probleme bringe, sagt der Student, der seinen Namen nicht nennen will. „Manche Vorschläge wie die Stärkung der Bürgerbeteiligung sind gut, andere nicht, wie die unbegrenzte Wiederwahl des Staatschefs“, sagt der 19-Jährige aus dem Armenviertel Catia. Vor seinen Mitstudenten hält er sich aber mit Regierungskritik zurück. Er hat Angst um sein Stipendium. Die in der Vergangenheit zuverlässigen Umfrageinstitute wie Datanalisis und Hinterlaces sagen eine knappe Mehrheit für ein „Nein“ beim Referendum am Sonntag voraus. Grund seien die gemäßigten Chávisten, die zwar weiterhin zum Präsidenten hielten, aber nicht von der Reform überzeugt seien, sagt Datanalisis-Direktor Luis Vicente Leon. „Alles, was niedriger ist als 50 Prozent wäre eine Niederlage“, räumt ein Regierungsfunktionär vor ausländischen Korrespondenten ein - aber erst als die Mikrofone abgeschaltet sind. Entsprechend nervös präsentiert sich das Regierungslager. Etwa, wenn eine Parlamentarierin einen TV-Moderater vor laufender Kamera verprügelt oder die Direktorin des Wahlrates (CNE), wutentbrannt dem TV-Sender Globovision droht, weil dieser einen von ihr verbotenen Wahlspot der Opposition nicht sofort absetzt. Auch die Liste der Abweichler wächst: Chávez einstiger Mentor und Vater der Verfassung von 1999, Luis Miquilena, die chávistische Partei „Podemos“ und Exheeres_chef Raul Baduel riefen öffentlich zum „Nein“ auf, da die Verfassungsreform diktatorische Züge trage, ein kalter Staatsstreich und ein Rückfall in autoritäre Zeiten sei. Chávez selbst brach am Mittwoch abrupt alle Beziehungen zu Kolumbien ab. Dies gelte solange Álvaro Uribe Präsident sei, hieß es. Uribe hatte Chávez zuvor das Mandat für Verhandlungen mit der linken kolumibianischen Guerilla Farc entzogen. (DER STANDARD, Printausgabe, 30.11.2007)